Zumutbarer Schulweg: Was ist für mein Kind angemessen?
Kinder haben ein Recht auf einen zumutbaren Schulweg. Was das genau heisst und welche Faktoren das beeinflussen, lesen Sie hier.
Anspruch auf zumutbaren Schulweg
Die Bundesverfassung gewährleistet als Grundrecht einen Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht (Art. 19 und 62 der Bundesverfassung BV). Kinder und Jugendliche vom Kindergarten, soweit dieser obligatorisch ist, bis und mit der Sekundarstufe I sind Träger dieses Rechts.
Sie haben deshalb auch einen verfassungsmässigen Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg. Die Zumutbarkeit des Schulweges richtet sich nach den konkreten Umständen im Einzelfall.
Länge, Topografie, Gefährlichkeit und Verfassung des Kindes
Massgebend sind sowohl die Länge, die Höhendifferenz bzw. die Topografie und die Gefährlichkeit des Schulwegs als auch der Entwicklungsstand und die Gesundheit des jeweils betroffenen Kindes. Sollte der Schulweg als unzumutbar gelten, dann hat der Schulträger (Kanton bzw. Gemeinde) zu gewährleisten, dass die schulpflichtigen Kinder sicher, zuverlässig und zeitgerecht zur Schule und zurückbefördert werden.
Es liegt grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des verantwortlichen Schulträgers, sich für eine zweckmässige Lösung zu entscheiden (Transport mit dem öffentlichen Verkehrsmittel, Einrichtung eines Schülertransportes, bauliche Massnahmen, Lotsendienst, Mittagsverpflegung in der Schule usw.).
Weiterführende Informationen diesbezüglich finden Sie in unserem FAQ Schulweg (Transport, Haftung, Zumutbarkeit usw.) und in unserer BFU-Fachdokumentation 2.365 «Schulweg».
Beispiele aus der Rechtsprechung
Folgende Beispiele sind exemplarisch und hängen von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. In der kantonalen Rechtsprechung gibt es teilweise widersprechende Entscheide u. a. aufgrund der topografischen Gegebenheiten und des vorhandenen Ermessenspielraums. Die Beispiele lassen sich nicht ohne Weiteres auf ähnliche Situationen übertragen.
Länge des Weges und Gefahren
Rechtsprechung des Bundesgerichts
- F. besuchte den Kindergarten und benötigte für den Weg dahin von zu Hause aus rund 20 Minuten zu Fuss. Für das folgende Jahr (1. Klasse: 6-7 Jahre alt) wurde sie einer anderen Schule zugeteilt, was ein Schulweg von mindestens 40 Minuten (15 Minuten zu Fuss bis zur Bushaltestelle und die restliche Zeit mit dem Schulbus) zur Folge hatte. Das Bundesgericht hielt fest, dass sich ein Schulweg von 40 Minuten, der teils zu Fuss und teils mit dem (Schul-) Bus zwei Mal am Tag zurückzulegen ist, nicht gegen die Garantie von Art. 19 BV verstosse, sich aber an der oberen Grenze dessen, was von einem Erstklässler noch verlangt werden kann, bewege (BGE 2C.495/2007 vom 27.03.2008)
- Eine Erstklässlerin (6-7 Jahre alt) in einer Zürcher Gemeinde musste in ein vom Elternhaus 1 Kilometer entferntes Schulhaus (77 Meter Höhendifferenz / Leistungskilometer: 1.77). Für die Berechnung der Dauer des Schulweges und der Länge der Mittagspause ging die Vorinstanz ihrer Praxis gemäss von einer für Erstklässler typischen Gehgeschwindigkeit von 3 bis 3.5 km/h aus. Diesen Erfahrungssatz stützt die Vorinstanz auf wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. Nachweise im Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2017.00044 vom 29. August 2017 E. 3.3.3). Diese Annahme, wonach die Gehgeschwindigkeit eines Erstklässlers bei rund 3 bis 3.5 km/h liege, hat das Bundesgericht nicht beanstandet. Daraus resultierte eine maximale Wegdauer von 36 Minuten (Hinweg) bzw. 24 Minuten (Rückweg) und eine Mittagspause von mindestens 45 Minuten. Gefährliche Stellen seien mit Hinweistafeln und gestutzten Hecken entschärft worden. Auch das Bundesgericht stützte das Urteil (BGE 2C_1143/2018 vom 30. April 2019)
- Ein Schulweg der 1.4 Km lang ist und eine Höhendifferenz zwischen 60 m und 70 m (2 Leistungskilometer) aufweist ist für ein 7.5 Jahre altes Kind zumutbar. In einem kürzlich ergangenen Entscheid hat das Bundesgericht die Annahme, wonach die Gehgeschwindigkeit eines Erstklässlers bei rund 3 bis 3.5 km/h liege, nicht beanstandet (Urteil 2C_1143/2018 vom 30. April 2019). So kam das Bundesgericht im Rahmen dieses Falles zum Schluss, dass selbst unter Annahme einer Gehgeschwindigkeit von 3 km/h das Kind den Schulweg in 40 Minuten absolvieren könne, was zumutbar sei (BGE 2C_191/2019 vom 11. Juni 2019)
- Ein Schulweg von 2,8 Kilometern, der teilweise mit dem Fahrrad zurückgelegt werden kann, und eine anschliessende Bahnfahrt von rund acht Minuten, was zu einer Gesamtschulwegdauer von rund 50 Minuten führt, ist für eine 13-jährige Oberstufen-Schülerin laut Bundesgericht zumutbar (BGE 2P.101/2005 vom 25.07.2005)
- Oberstufenschüler (13- bis 16-jährige Schüler): 40-minütige Fahrt mit dem Velo (8 km für 100 Meter Höhenunterschied) ist zumutbar laut Bundesgericht (BGE 2P.101/2004 vom 13.10. 2004)
Rechtsprechung Kantone
- Ein aus verkehrstechnischer Sicht unbedenklicher Schulweg von 1,3 Kilometern, der von Kindergartenschülern in 30 Minuten bewältigt werden kann (2.6 Km/h), ist zumutbar. Der anschliessende Schulbustransfer von 5 Minuten Dauer ändert nichts an der Zumutbarkeit des Schulwegs (Entscheid des Bildungs- und Kulturdepartements Luzern vom 11. November 2005, E. 2.3.) *
- Einem siebenjährigen Kind kann die Überquerung einer stark frequentierten Kantonsstrasse ohne Fussgängerstreifen und Ampel nicht zugemutet werden (PVG 2002, Nr. 1, S. 15 ff. (17), E. 2b.) *
- Ein Schulweg von drei Kilometern, der durch bewaldetes Gebiet und entlang einer (nicht stark, aber eher schnell befahrenen) Staatsstrasse ohne Trottoir führt, ist für Schüler der ersten und zweiten Klasse nicht zumutbar (BVR 2003, S. 198 ff. (205) E. 4d.) *
- Ein Schulweg auf einer Strasse ohne Fussweg, welche mit 80 km/h befahren werden kann und von zehn bis 15 Fahrzeugen pro Stunde frequentiert wird (in Stosszeiten 30 Fahrzeuge), muss für Kindergartenschüler und Kinder der ersten und zweiten Klasse als zu gefährlich und unangemessen bezeichnet werden (Entscheid der Schulrekurskommission des Kantons Zürich vom 21. Januar 2002, S. 6, E. 7.) *
Mittagsverpflegung
- Während der Mittagspause kann die erneute Beförderung durch einen von der Schule organisierten Mittagstisch ersetzt werden. Die Garantie der Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts bedingt, dass der von den Eltern zu leistende Kostenbeitrag an den Mittagstisch die zuhause anfallenden Verpflegungskosten grundsätzlich nicht überschreitet. Eine Mittagspause von etwas mehr als 40 Minuten wurde vom Bundesgericht als zumutbar eingestuft (BGE 2C.838/2017 vom 22.02.2018).
Schülertransporte
- Für die Einführung eines Schulbusbetriebes ist eine gewisse Anzahl von Schülern erforderlich. Auch ein von den Eltern im Privatfahrzeug durchgeführter Transport kann als angemessen bezeichnet werden. Die Eltern haben Anspruch auf eine Entschädigung (Entscheid des Erziehungs- und Kulturdepartements Luzern vom 29. September 2000, E. 7b.) *
- Der Schülertransport muss nicht bis vor die Haustüre geführt werden. Es genügt, den Schülertransport so auszugestalten, dass der Weg auf ein zumutbares Mass reduziert wird und die Gefahren eliminiert werden (LGVE 2004 III Nr. 16, S. 446 ff. (450), E. 4.4.) *
* Quelle: Sándor Horváth, Der verfassungsmässige Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg, ZBI 108/2007 S. 633, S. 649 ff.
Weitere Informationen
Mehr zum Thema Schulweg finden Sie in unserem Ratgeber «Sicherer Schulweg».
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