Bestandesschutz bedeutet, dass rechtmässig erstellte Bauten und Anlagen in ihrem Bestand geschützt sind. Diese dürfen grundsätzlich als sog. altrechtliche Bauten so, wie sie sind, weiterbestehen, unterhalten und weiterhin in der bisherigen Art genutzt werden. Dies, auch wenn sie neuen/heutigen Vorschriften und Normen nicht entsprechen. Die Pflicht zur Nachrüstung ist die Ausnahme.

Bestandesschutz als Grundsatz

Das kantonale Baurecht geht manchmal weiter als die Grundsätze des Bestandesschutzes, die sich aus der Rechtsprechung zum Bundesrecht ergeben. In gewissen Kantonen (z. B. Bern) umfasst der Bestandesschutz auch die Befugnis, bestehende Bauten und Anlagen zeitgemäss zu erneuern, umzubauen oder zu erweitern, soweit dadurch ihre Rechtswidrigkeit nicht verstärkt wird.

Nachrüstpflicht als Ausnahme

Eine Verpflichtung zur Um-/Nachrüstung bestehender Bauten kann sich ausnahmsweise aus Vorschriften des kantonalen bzw. kommunalen Baurechts ergeben. Eine solche Verpflichtung zur Nachrüstung bestehender Bauten betrifft in der Regel Bauten, von denen Gefährdungen der Sicherheit ausgehen (z. B. durch Bauteile, die auf die Strasse zu fallen drohen). In solchen Fällen haben die zuständigen Behörden (z. B. Baupolizei) die Befugnis, Massnahmen anzuordnen.

Im Einzelfall muss die rechtliche Situation im Standortkanton und in der Standortgemeinde im Detail abgeklärt werden – nur so weiss man, ob der Bestandesschutz oder eine Nachrüstpflicht gelten.

Freiwillige Nachrüstung bestehender Bauten und Anlagen

Nach Art. 58 Obligationenrecht haften Werkeigentümerinnen und -eigentümer zivilrechtlich für Schäden, die auf fehlerhafte Anlage oder Herstellung oder auf mangelhaften Unterhalt ihres Werkes (z. B. Gebäudes) zurückzuführen sind.

Die Bundesgerichtliche Rechtsprechung leitet aus diesem Artikel unter anderem ab, dass sich Werkeigentümerinnen und -eigentümer nicht ohne Weiteres darauf berufen können, ihr Werk sei seinerzeit nach den Regeln der Baukunst erstellt worden und gelte somit auch noch nach Jahren als mängelfrei.

Eigentümerinnen und Eigentümer sollten demnach der Entwicklung der Technik Rechnung tragen und ihr Gebäude allenfalls dem neueren Stand der Sicherheitsmassnahmen anpassen. Ansonsten riskieren sie, nach Unfällen mit Forderungen auf Schadenersatz konfrontiert zu werden. Je einfacher und billiger diese Verbesserungen hätten vorgenommen werden können, desto eher waren sie zumutbar und desto strenger werden Richterinnen und Richter bei der Beurteilung der Mangelhaftigkeit sein.

Eine Überprüfung der Sicherheitsmassnahmen im Gebäude empfiehlt sich dann, wenn bedeutende Änderungen vorgenommen werden. Diese Änderungen können in baulichen Massnahmen (z. B. einer umfassenden Sanierung, An-/Ausbauten bzw. Erweiterungsbauten), organisatorischen Neuerungen oder aber in einer veränderten Nutzungsart bestehen. Handlungsbedarf besteht ferner überall dort, wo eine offensichtliche Gefährdung erkannt wird.

Rechtsprechung

Im Folgenden finden Sie einige Urteile zum Thema. Der BFU-Rechtsdienst hat diese Urteile zusammengefasst und aus Präventionssicht analysiert. Sie können den Originaltext aller Urteile auch auf der Website des Bundesgerichts (www.bger.ch) oder des kantonalen Gerichts nachlesen:

  • Fataler Sturz eines Kindergartenschülers im Treppenhaus eines Kindergartens, der in einem hundertjährigen Haus untergebracht ist (Entscheid Kantonsgericht St. Gallen vom 6.2007/BZ.2006.100).
  • Sturz eines Gastes aus dem bis zum Boden reichenden Fenster eines Hotelzimmers (Urteil Bundesgericht vom 9.4.2014 / Prozess-Nr. 4A_521/2013).
  • Tödlicher Sturz im Schulhaus nach rückwärts runter Rutschen auf dem Treppenhandlauf; dieses Urteil beleuchtet die Thematik aus strafrechtlicher Optik (Urteil Bundesgericht vom 16.8.2004 / Prozess-Nr. 1P.305/2004).
  • Sturz eines Wohnungsmieters vom Balkon seiner Wohnung in den Tod (Urteil Bundesgericht vom 3.10.2012 / Prozess-Nr. 4A_382/2012).

Fazit

  • Im Regelfall geniessen bestehende Bauten einen Bestandesschutz. Rechtliche Vorschriften, welche direkt zu einer Anpassung an den geänderten Stand der Technik verpflichten, existieren nur ausnahmsweise.
  • Indirekt kann aus der Werkeigentümerhaftung gemäss Art. 58 Obligationenrecht abgeleitet werden, dass sich Eigentümerinnen und Eigentümer einer Baute nicht immer darauf berufen können, ihre Baute sei nach den Regeln der Baukunst erstellt worden und gelte demnach heute immer noch als mängelfrei. Je nach konkreten Umständen des Einzelfalls riskiert man sonst nach Unfällen wegen einer mangelbehafteten Baute Schadenersatzzahlungen.
  • Mit einer periodischen Überprüfung und Verbesserung der Sicherheit der Baute durch eine Fachperson tragen Eigentümerinnen und Eigentümer zur Sicherung und Werterhaltung und somit zur Unfallprävention bei und reduzieren gleichzeitig ihr eigenes Haftungsrisiko.

Weitere Informationen

Mehr Informationen zum Thema Bauen und Sicherheit finden Sie in unserem Dossier «Bauen für mehr Sicherheit».

Zum Warenkorb
0