Kinder dürfen in der Schweiz zwar laut Gesetz ab sechs Jahren auch auf Hauptstrassen allein Velo fahren. Vorher ist das nur mit einer mindestens 16-jährigen Begleitperson erlaubt. Entwicklungsbedingt sind Sechsjährige im Strassenverkehr aber noch überfordert. Aus rechtlicher Sicht gilt es Folgendes zu beachten.

Mindestalter

Kinder dürfen vor dem vollendeten sechsten Altersjahr auf Hauptstrassen nur unter Aufsicht einer mindestens 16 Jahre alten Person Velo fahren (Art. 19 Abs. 1 SVG). Für die übrigen Strassenkategorien ist kein gesetzliches Mindestalter vorgeschrieben.

Unabhängig von ihrem Alter dürfen Kinder auf sämtlichen Strassen erst dann fahren, wenn sie die Pedale treten können (Art. 42 Abs. 1 VRV) und die allgemeinen Normen zur Beherrschung des Fahrzeugs und der gebotenen Vorsicht erfüllen können.

Normen zur Beherrschung des Fahrzeugs und der gebotenen Vorsicht

Alle Verkehrsteilnehmenden müssen sich im Verkehr so verhalten, dass sie andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindern noch gefährden (Art. 26 SVG). Dabei muss man das Fahrzeug so gut beherrschen, dass man den Vorsichtspflichten nachkommen kann. Und man muss über die dafür erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügen (Art. 31 SVG).  

Um diese Anforderungen erfüllen zu können, spielen unter anderem die folgenden Faktoren eine Rolle:

  • Alter
  • Individuelle Entwicklung
  • Individuelle Fähigkeiten
  • Strassen- und Verkehrsverhältnisse

Die Eltern sind hier nach Art. 302 ZGB verantwortlich, einerseits dem Kind notwendige Erfahrungen und eine Verkehrserziehung zu ermöglichen. Andererseits müssen sie das Kind unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten sowie der Strassen- und Verkehrsverhältnisse vor einer gefährlichen Überforderung schützen. Velofahren lässt sich so z. B. auf einer verkehrsarmen Quartierstrasse üben.

Verkehrsregeln

Kinder müssen im Strassenverkehr die Verkehrsregeln beachten. So ist es z. B. nur in Ausnahmefällen gestattet, zu zweit nebeneinander Velo zu fahren (Art. 43 Abs. 1 VRV).

Wer mit dem Velo unterwegs ist, darf einen Fussgängerstreifen fahrend überqueren, hat aber keinen Vortritt gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmenden auf der Fahrbahn. Die BFU empfiehlt Kindern aber dringend, das Velo beim Queren zu schieben.

Stehen Velofahrerinnen und -fahrer neben ihrem Velo an einem Fussgängerstreifen, sind sie als Fussgängerinnen und Fussgänger zu betrachten und haben damit dasselbe Vortrittsrecht wie Fussgängerinnen und Fussgänger.

In Kraft seit Januar 2021

  • Seit Januar 2021 dürfen Kinder bis 12 Jahre auf Fusswegen und Trottoirs Velo fahren, wenn weder Velowege noch Velostreifen vorhanden sind. Sie müssen dort ihre Geschwindigkeit und Fahrweise den Umständen anpassen. Insbesondere müssen sie auf Fussgängerinnen und Fussgänger Rücksicht nehmen und diesen den Vortritt gewähren (Art. 41 Abs. 4 VRV). Die Benützung der Fahrbahn durch velofahrende Kinder bis 12 Jahre ist weiterhin zulässig.
  • Seit 2021 dürfen Velofahrerinnen und Velofahrer an Lichtsignalanlagen mit der nötigen Vorsicht bei Rot rechts abbiegen, sofern am Lichtsignal die Zusatztafel «Rechtsabbiegen für Velofahrer gestattet» vorhanden ist. Die bei Rot rechts abbiegenden Fahrerinnen und Fahrer haben den anderen Verkehrsteilnehmenden wie zum Beispiel querenden Fussgängerinnen oder von links kommendem Verkehr den Vortritt zu gewähren. Rechtsabbiegen bei Rot ist für Kinder schwer zu bewältigen, da es eine sehr komplexe Verkehrssituation ist.

Beispiele aus der Rechtsprechung

Kind im Alter von 4 Jahren und 11 Monaten, in Begleitung seiner 9-jährigen Schwester, von einem Motorroller erfasst, als es unerwartet auf die Strasse trat (BGer 4A_179/2016, 30. August 2016)

X war mit seinem Motorroller auf einer Gemeindestrasse unterwegs, während auf dem rechten Trottoir ein vier Jahre und elf Monate alter Knabe in Begleitung seiner 9-jährigen Schwester in die gleiche Richtung lief. Der Knabe betrat dann unerwartet die Strasse.

Aus strafrechtlicher Sicht wurde der Rollerfahrer der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig gesprochen. Zivilrechtlich wurde festgestellt, dass der Junge hyperaktiv war, seine Familie kürzlich in die Schweiz eingewandert war und er keine Verkehrserziehung erhalten hatte.

Die Kinder waren hier mit der Situation überfordert. Die Mutter, die ihren Sohn üblicherweise begleitete, war verhindert, weshalb sie ihn der älteren Schwester anvertraut hatte. Das Bundesgericht hat die Mutter des kleinen Knaben als zivilrechtlich mitverantwortlich angesehen, auch wenn sie nicht vor Ort war. Sie hätte ihn einer erwachsenen Person anvertrauen sollen.

Interessant ist, dass das Gericht die Verkehrserziehung explizit erwähnt hat, auch wenn es in diesem Fall so oder so von einer klaren Überforderung ausging.

Kollision zwischen einem Lieferwagen und einem knapp 13 Jahre alten Mädchen auf einem Kinderfahrrad (Urteile 6B_302/2011 und 6B_313/2011 vom 29. August 2011)

Ein knapp 13 Jahre altes Mädchen war auf seinem Velo auf einer Nebenstrasse unterwegs. Sie hielt einen Moment an, um die Hauptstrasse zu überqueren. Dann fuhr sie los und wurde von einem Lieferwagen erfasst.

Obwohl der Fahrer des Lieferwagens vortrittsberechtigt war, hätte er laut Bundesgericht das Mädchen als Kind wahrnehmen und früher reagieren sollen. Mit einem Gewicht von 30 kg und einer Grösse von 145 cm hatte es die Statur eines 11-jährigen Kindes.

Das Bundesgericht zieht auch in Betracht, dass die Sicht- und Witterungsverhältnisse gut waren und es keine Anzeichen dafür gab, dass der Fahrer keine freie Sicht auf die Verzweigung gehabt hätte. Zudem war das Kind mit einem Kindervelo unterwegs, so dass der Fahrer besondere Vorsicht hätte walten lassen müssen.

Er hätte die Geschwindigkeit mässigen und/oder ein akustisches Warnsignal abgeben sollen. Aus strafrechtlicher Sicht wurde der Lenker der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig gesprochen.

Kollision zwischen einer 12-jährigen Velofahrerin und einem Personenwagen (Urteile 6P.17/2004 und 6S.49/2004 vom 4. August 2004)

Eine 12-jährige Velofahrerin fuhr mit einer Gruppe von Schulkindern auf einem Veloweg parallel zur Hauptstrasse zur Schule. Dieser Veloweg mündet ohne Vortrittsrecht in die Hauptstrasse (ausserorts).

Als die junge Velofahrerin vom Veloweg auf die Hauptstrasse fuhr, stiess sie mit einem Personenwagen zusammen, der mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (80 km/h) in die gleiche Richtung wie sie fuhr.

Laut Bundesgericht sah und erkannte der ortskundige Lenker des Personenwagens eine Gruppe von auf dem Veloweg fahrenden Kindern, als er sich dem Punkt näherte, an dem der Veloweg in die Hauptstrasse mündet. Er verringerte seine Geschwindigkeit nicht, obwohl die Absicht der Kinder, die Hauptstrasse zu überqueren oder zumindest in sie einzubiegen, offensichtlich war, und er insbesondere die Örtlichkeiten kannte.

In Gegenwart dieser Kinder hätte er eine erhöhte Vorsicht an den Tag legen müssen, indem er seine Geschwindigkeit hätte verringern und seine besondere Aufmerksamkeit auf deren Verhalten hätte richten müssen. Der Lenker wurde der der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig gesprochen.

Die BFU empfiehlt

  • Kind auf einem Laufvelo in einem gesicherten Raum (verkehrsfreies Areal, z. B. Pausenplatz) ans Velofahren heranführen
  • Mit dem Kind auf einem Platz Bremsen, Steuern oder Schalten sowie Gleichgewicht und Orientierungsfähigkeit üben
  • Kind dazu anleiten, auch auf dem Trottoir mit angepasster Geschwindigkeit vorausschauend und bremsbereit zu fahren (Achtung Fussgänger und Ausfahrten)
  • Verkehrsregeln, insbesondere korrektes Linksabbiegen, Kreuzungen und Kreisel befahren, erklären und üben
  • Kind so lange wie nötig begleiten und erst dann selbstständig am Verkehr teilnehmen lassen, wenn dies seine Fähigkeiten sowie die Strassen- und Verkehrsverhältnisse zulassen
  • Kind helle oder lichtreflektierende Kleidung tragen lassen und das Velo nach gesetzlichen Vorschriften ausrüsten
  • Kind nur mit Velohelm (mit Bezeichnung EN 1078) fahren lassen

Weitere Informationen

Mehr zum Thema Kinder auf dem Velo finden Sie in unserem Ratgeber «Kinder auf dem Velo» und im Dossier «Kinder im Strassenverkehr»

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