Arrêt du: 9 décembre 2011
N° de procédure: 1C_370/2011

Anforderungen ans Gutachten und die weiteren Erhebungen der Gemeinde

Sachverhalt
Anwohnerinnen und Anwohner der Surbekstrasse in Bern gelangten mit dem Anliegen an die Polizei, die im Quartier spielenden Kinder besser vor dem motorisierten Verkehr zu schützen. Die Polizei führte Geschwindigkeitsmessungen durch und empfahl der betroffenen Anwohnerschaft, beim Verkehrsplanungsamt der Einwohnergemeinde Bern abzuklären, ob die Umwandlung der bestehenden Tempo-30-Zone in eine Begegnungszone mit Tempo 20 möglich sei. Am 6. April und 28. Juli 2009 fanden unter der Leitung des Verkehrsplanungsamts "Strassensitzungen" statt. Die beim ersten Zusammentreffen in Auftrag gegebene Unterschriftensammlung ergab, dass 64% der Anwohnerschaft die Errichtung einer Begegnungszone befürworten, weshalb das Verfahren von Seiten der Einwohnergemeinde Bern weitergeführt wurde. Am 10. Februar 2010 publizierte die Einwohnergemeinde Bern im Anzeiger Region Bern folgende Verkehrsbeschränkung: "1. Neue Massnahmen [...] Begegnungszone Surbekstrasse, zwischen Nummer 3 und 39 [..]."

Prozessgeschichte
Gegen das Vorhaben erhob unter anderem die an der Surbekstrasse 26 wohnhafte X. Beschwerde beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland. Mit Entscheid vom 19. Oktober 2010 wies dieses die Beschwerde ab. Die von X.am 22. November 2011 gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 27. Juni 2011 ab, soweit es auf diese eintrat. Das ASTRA gelangte daraufhin ans Bundesgericht und beantragte die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung. Das Bundesgericht wies diese Beschwerde ab.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts

  • Art. 108 SSV regelt, wann von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten im Sinne von Art. 4a der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) abgewichen werden kann. Die Höhe der Geschwindigkeitsherabsetzung ist für die Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismässigkeit der Massnahme von Bedeutung. Wäre die Anwendung von Art. 108 SSV auf eine erstmalige Abweichung von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten beschränkt, wie dies die Vorinstanz annimmt, würde dies den zuständigen Behörden die Möglichkeit eröffnen, die Geschwindigkeit bewusst in mehreren Schritten zu reduzieren, ohne dass für die weiteren Geschwindigkeitsreduktionen die Voraussetzungen von Art. 108 SSV erfüllt sein müssten. Dies aber widerspricht dem Sinn und Zweck der Bestimmung, denn letztlich stellt jede weitere Herabsetzung der Geschwindigkeit zugleich eine weitere Abweichung von der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit dar. Für jede dieser Herabsetzungen müssen deshalb auch die Voraussetzungen von Art. 108 SSV erfüllt sein. Da mit der Umwandlung einer Tempo-30-Zone in eine Begegnungszone eine Herabsetzung der Geschwindigkeit um 10 km/h verbunden ist, ist gemäss Art. 108 Abs. 4 SSV durch ein Gutachten abzuklären, ob die Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig ist oder ob andere Massnahmen vorzuziehen sind. Vorliegend soll eine Begegnungszone errichtet werden, weil nach Ansicht der Einwohnergemeinde Bern bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen (Art. 108 Abs. 2 lit. b SSV). Es ist daher im Folgenden zu prüfen, ob das Gutachten und die weiteren Erhebungen der Einwohnergemeinde Bern im Hinblick auf diesen Zweck den Anforderungen genügen.

  • In dem von der Verkehrsplanung der Stadt Bern am 18. Januar 2010 erstellten Gutachten werden als Ziele, die mit der Anordnung der Begegnungszone erreicht werden sollen, die Aufwertung des unmittelbaren Wohnumfelds durch die Verbesserung der Verkehrssicherheit und die Gestaltung des Strassenraums für Aufenthalt, Begegnung und Kinderspiel genannt (vgl. Art. 3 lit. a und e der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen). Aus den weiteren Ausführungen im Gutachten geht hervor, dass die Verkehrssicherheit deutlich im Vordergrund steht. Dem Gutachten liegt ein Übersichtsplan bei (vgl. Art. 3 lit. b der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen). Zudem sind eine Beurteilung bestehender und absehbarer Sicherheitsdefizite sowie Vorschläge für Massnahmen zu deren Behebung erforderlich (Art. 3 lit. c der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen). Hierzu wird im Gutachten festgehalten, dass ein Trottoir fehle, dass die Verhältnisse unübersichtlich seien und dass zu hohe Geschwindigkeiten gemessen worden seien. Diese Umstände würden für die besonderen Schutzbedürfnisse insbesondere der auf der Strasse spielenden Kinder sprechen. Dem Gutachten liegt weiter eine statistische Auswertung der von der Polizei am 30. April 2009 durchgeführten Geschwindigkeitsmessung bei. Diese ergab, dass innert 24 Stunden insgesamt 102 Fahrzeuge (95 PKW und 7 LKW) die Surbeckstrasse passierten und die höchste gemessene Geschwindigkeit 42 km/h betrug. Insgesamt waren 15 Fahrzeuge mit 34-42 km/h unterwegs, die übrigen Fahrzeuglenker fuhren 33 km/h oder weniger. Das Gutachten liefert damit einen guten Überblick über das aktuelle Geschwindigkeitsniveau, auch wenn die 50%- und die 85%-Geschwindigkeiten nicht explizit ausgewiesen werden. Die Messergebnisse sind ausreichend, um die Notwendigkeit der Begegnungszone unter diesem Gesichtspunkt beurteilen zu können. Überlegungen zu möglichen Auswirkungen der geplanten Massnahme auf die ganze Ortschaft oder auf Teile davon sowie Vorschläge zur Vermeidung allfälliger negativer Folgen fehlen im Gutachten (vgl. Art. 3 lit. f der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen). Solche negative Folgen sind jedoch bei der Umwandlung der bestehenden Tempo-30-Zone in eine Begegnungszone auch nicht ersichtlich, weshalb sich Ausführungen hierzu erübrigten. Schliesslich verlangt Art. 3 lit. g der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen eine Aufzählung und Umschreibung der Massnahmen, die erforderlich sind, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Neben der Anordnung der Begegnungszone an sich sind die Errichtung eines Eingangstors und die Anbringung spezieller Farbelemente ("grüne Füsse") auf dem Strassenbelag vorgesehen.

    Im Gutachten wird zusammenfassend ausgeführt, die Tatsache, dass zum Teil zu schnell gefahren werde, und die unübersichtlichen Verhältnisse würden für die besonderen Schutzbedürfnisse der Anwohnerschaft und insbesondere der auf der Strasse spielenden Kinder sprechen. Mit milderen Massnahmen als der Errichtung einer Begegnungszone könne dieser Schutz nicht gewährleistet werden.

  • Umfang und Inhalt des Gutachtens genügen mit Blick darauf, dass es um die Einführung einer Begegnungszone auf einer Länge von nur rund 250 m auf einer wenig befahrenen, in einer Sackgasse endenden Quartierstrasse geht, den gesetzlichen Anforderungen. Auch wenn das Gutachten kurz ausgefallen ist, so belegt es zusammen mit den weiteren Erhebungen der Einwohnergemeinde Bern, dass bestimmte Strassenbenützer, insbesondere die auf der Strasse spielenden Kinder, eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen (Art. 108 Abs. 2 lit. b SSV). Die erste Instanz gelangte in ihrem Entscheid vom 19. Oktober 2010 ohne Bundesrechtsverletzung zum Ergebnis, dass die Massnahme angesichts der unübersichtlichen Verhältnisse und des fehlenden Trottoirs im Hinblick auf diesen Schutz nötig, zweck- und verhältnismässig ist (Art. 108 Abs. 4 SSV). Insbesondere sind mildere, aber ebenso geeignete alternative Massnahmen nicht ersichtlich. Zusammenfassend hat die Einwohnergemeinde Bern mit der Einführung einer Begegnungszone den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

    Notre recueil d’arrêts du Tribunal fédéral

    Le texte intégral des arrêts sélectionnés par le BPA peut être consulté sur le site Internet du Tribunal fédéral:

    • Les arrêts publiés dans le recueil officiel sont disponibles ici: veuillez rechercher le numéro de l’arrêt indiqué dans notre résumé, p. ex. 129 II 82.
    • Les autres arrêts sont accessibles ici: veuillez rechercher le numéro de la procédure, p. ex. 2A.249/2000.
    Les décisions des tribunaux cantonaux peuvent faire l’objet d'une recherche plein texte sur les sites Internet des cantons concernés.
    Les décisions judiciaires sont en général résumées uniquement en allemand.
  • Vers le panier
    0