Arrêt du: 30 novembre 2000
Recueil officiel: BGE 127 IV 34

Sachverhalt
A. fuhr am 5. Dezember 1997 mit seinem Tanklastwagen in Basel von der Riehenstrasse her durch die Hammerstrasse. Er beabsichtigte, beim Stoppsignal an der Kreuzung mit der Clarastrasse nach rechts in Richtung Messeplatz einzubiegen. Den rechten Blinker hatte er bereits ca. 100 m vor der Kreuzung gestellt. Am Stoppbalken hielt er sein Fahrzeug mit einem seitlichen Abstand zum rechten Trottoir von ca. 80-100 cm an. Wegen des regen Verkehrs musste A. am Stoppbalken während rund 30 Sekunden warten. Innerhalb dieser Zeitspanne fuhr die Radfahrerin D., geb. 1955, mit ihrem Fahrrad von hinten herkommend rechts am Tanklastwagen vorbei bis zum Stoppbalken, wo sie auf der Höhe der Führerkabine des Lastwagens und mit einem seitlichen Abstand zu diesem von 50-60 cm stehen blieb. D. war auf ihrer Fahrt erst nach A. in die Hammerstrasse eingebogen und von ihm somit nicht überholt worden. Als die Verzweigung frei wurde, fuhr A. wegen des Schwenkbereichs seines langen Fahrzeuges, wegen eines nahe der Verzweigung in der Clarastrasse parkierten Personenwagens und wegen eines an der Haltestelle der gegenüberliegenden Seite der Clarastrasse wartenden Tramzuges zunächst 1-2 m geradeaus und bog anschliessend nach rechts ein. Da ein älterer Fussgänger den Fussgängerstreifen über die Clarastrasse von der Gegenseite her überqueren wollte, bremste er nochmals ab. Nachdem jener auf das Trottoir zurückgetreten war und A. vorbeigewinkt hatte, setzte dieser seine Fahrt "in einem Zug" fort. Gleichzeitig mit dem Tanklastwagen fuhr auch D., die in Eile war, los, um die Kreuzung in gerader Richtung zu überqueren. Dabei kam es zur Kollision zwischen dem Tanklastwagen und der Radfahrerin. D. stürzte und geriet unter den Lastwagen, wo sie von dessen erstem oder zweiten linken Vorderrad überrollt wurde. Sie erlitt dabei schwere Bauch- und Brustverletzungen, denen sie rund zwei Stunden nach dem Unfall erlag.

Prozessgeschichte
In erster Instanz wurde A. von der Anklage wegen fahrlässiger Tötung freigesprochen. In zweiter Instanz erfolgte ein Schuldspruch. Das Bundesgericht befand auf Beschwerde von A hin, der Schuldspruch der fahrlässigen Tötung verletze Bundesrecht.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts

  • Das Bundesgericht hat sich schon mehrfach mit dem Problem des sichttoten Winkels zu befassen gehabt, namentlich im Zusammenhang mit Unfällen, bei denen Lastwagen und Fahrradfahrer beteiligt waren. Nach seiner Rechtsprechung handelt es sich beim sichttoten Winkel um einen in der Bauart des Fahrzeuges liegenden Faktor, den der Fahrzeuglenker grundsätzlich von vornherein in Rechnung zu stellen hat. Dementsprechend hat es verschiedentlich ausgeführt, es gehe nicht an, das Verborgenbleiben eines Verkehrsteilnehmers dem Zufall zuzuschreiben und die sich aus dem sichttoten Winkel ergebenden Risiken auf andere Strassenbenützer abzuwälzen. Vielmehr müsse der Fahrzeuglenker dafür besorgt sein, dass die sich aus jenem Faktor ergebenden Risiken ausgeschaltet werden. Der Chauffeur muss sich jedenfalls den aus dem Problem des sichttoten Winkels resultierenden Gefahren bewusst sein und die ihm möglichen Massnahmen treffen, um das Risiko zu beseitigen, wenn nach den Umständen die nahe Möglichkeit besteht, dass sich Verkehrsteilnehmer rechts von seinem Fahrzeug im verdeckten Sichtbereich befinden könnten. Dazu gehört, dass er dieser Gefahr im Sinne einer vorausschauenden Vorsicht besondere Aufmerksamkeit schenkt und das Verkehrsgeschehen im Hinblick auf sein beabsichtigtes Fahrmanöver beobachtet. Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann dem Lastwagenlenker nur dann nicht zur Last gelegt werden, wenn sich mit Sicherheit ausschliessen lässt, dass er auch bei Aufwendung aller gehörigen und zumutbaren Vorsicht einen im sichttoten Bereich seines Fahrzeugs verborgenen anderen Verkehrsteilnehmer hätte erkennen können und er mit einem solchen aufgrund der konkreten Verhältnisse auch nicht hätte rechnen müssen.
  • Im konkreten Fall musste der Beschwerdeführer seine Aufmerksamkeit zunächst den zu erwartenden Gefahren zuwenden, die für ihn tatsächlich erkennbar waren. Dazu gehörte in erster Linie der Querverkehr auf der Clarastrasse, dem er den Vortritt gewähren musste und den er in seiner Fahrt nicht behindern durfte. Ausserdem befindet sich auf der Clarastrasse gleich neben der Hammerstrasse ein Fussgängerstreifen, dessen Beobachtung umso mehr geboten war, als zu jenem Zeitpunkt ein Tramzug in der Haltestelle Clarastrasse hielt. Tatsächlich wollte denn nach den Feststellungen der Vorinstanz auch ein Fussgänger den Streifen überschreiten, was den Beschwerdeführer veranlasste, seine Fahrt abzubremsen, um diesem den Vortritt zu lassen. Solange er sich mit dem Passanten nicht verständigt hatte, konnte er seine Aufmerksamkeit somit nicht ausschliesslich anderen Verkehrsteilnehmern zuwenden, die sich möglicherweise, für ihn aber jedenfalls nicht sichtbar, im toten Winkel hätten befinden können. Dass der Beschwerdeführer diese möglichen Gefahren aber nicht gänzlich unbeachtet gelassen, sondern gehörig berücksichtigt hat, ergibt sich daraus, dass er während der Wartezeit verschiedentlich in den Rückspiegel geschaut und auch, bevor er langsam anfuhr, noch Kontrollblicke in die Aussenspiegel geworfen hatte.
  • Dem Beschwerdeführer kann nach all dem keine Verkehrsregelverletzung vorgeworfen werden. Er hat die ihm zumutbaren Vorsichtsmassregeln, namentlich die angemessene Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs während der Wartezeit und beim Anfahren sowie das langsame Ausführen des Abbiegemanövers, getroffen. Dies führt zum Ergebnis, dass ihm der Tod des Unfallopfers strafrechtlich nicht zuzurechnen ist. Die Frage nach einer allfälligen zivilrechtlichen Haftung des Lastwagen-Halters bleibt davon unberührt. Auch wenn die besondere Schutzbedürftigkeit von schwächeren Verkehrsteilnehmern, die regelmässig, und häufig mit gravierenden Folgen, von solchen tragischen Unfälle betroffen werden, nicht in Frage steht, kann dies nicht dazu führen, dass im Einzelfall auf den Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung verzichtet wird und einzig vom Erfolg, dem konkreten Unfall, unbesehen auf eine solche Pflichtverletzung rückgeschlossen wird. Der Schuldspruch der fahrlässigen Tötung verletzt daher Bundesrecht und die Beschwerde erweist sich somit als begründet.

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