Arrêt du: 30 juin 2010
N° de procédure: 100.2008.23499U (Verwaltungsgericht Kanton Bern)

Thema des Urteils
Baupolizeiliche Aufsichts- und Interventionspflichten einer kommunalen Baubehörde

Sachverhalt
Im Dorfzentrum einer Gemeinde wurden mehrere Grossbauvorhaben realisiert:

  • ein Parkhaus, auf dessen Flachdach eine Tennisanlage errichtet wurde;
  • zwischen der Tennisanlage und der Dorfstrasse wurde ein Hotel neu gebaut;
  • auf der angrenzenden Parzelle wurde ein Spielplatz errichtet.

Knapp zwei Jahre nach Eröffnung des Spielplatzes hielten sich ein knapp dreijähriges Mädchen und ihr etwas älterer Bruder unter der Obhut ihres Grossvaters auf diesem Spielplatz auf. Das Mädchen entfernte sich in Richtung des rückwärtigen, tiefer liegenden Grünbereichs. Vom Flachdach des nahtlos anschliessenden Tennispavillons stürzte es auf den gut vier Meter tiefer liegenden Betonvorplatz. Es zog sich dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit massivem Hirnödem zu. Seither leidet das Mädchen an einer schweren Behinderung sowie an epileptischen Anfällen und Krampfschüben. Es ist in allen täglichen Verrichtungen rund um die Uhr auf Betreuung, Unterstützung und Überwachung angewiesen.

Prozessgeschichte
Die Eidgenössische Invalidenversicherung (IV) erbringt für das Mädchen verschiedene Leistungen. Die IV erhob Klage und beantragte, die Gemeinde sei zur Bezahlung von CHF 347'573.– zuzüglich Zinsen von 5% zu verurteilen. Damit nahm die IV Regress auf die Gemeinde. Sie stützte sich dabei auf einen Staatshaftungsanspruch, der auf dem Vorwurf beruhte, die Gemeinde habe ihre baupolizeilichen Aufsichtspflichten verletzt. Die erste Instanz hat diese Klage abgewiesen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat die Klage dann gutgeheissen. Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Verwaltungsgerichts

  • Für das Verwaltungsgericht stellte das Flachdach des Tennispavillons im Zeitpunkt des Unfalls eine Gefahrenquelle mit erheblicher Absturzgefahr dar; deshalb hätte es gemäss dem Berner Baurecht gesichert werden müssen. Die Richter befanden, diese Gefahr hätte der Gemeinde seit der Inbetriebnahme der Hotelanlage und des Spielplatzes zwei Jahre vor dem Unfall bekannt sein müssen.
  • Spätestens zwei bis drei Monate nach der Inbetriebnahme des Spielplatzes habe die Gemeinde nicht mehr darauf vertrauen dürfen, dass die Parkhaus AG von sich aus das fragliche Flachdach sichern würde. Sie hätte demnach selber dafür sorgen müssen, dass die Parkhaus AG eine Absturzsicherung anbringt. Eine Baubehörde müsse auch nach Vollendung der Bauten für deren Sicherheit sorgen. Deshalb befand das Verwaltungsgericht, die Gemeinde sei für die dem Mädchen zugefügten Schäden aus Staatshaftungsgründen verantwortlich.
  • Das Gericht setzte sich auch intensiv mit der Frage auseinander, ob der Grossvater allenfalls seine Aufsichtspflicht verletzt habe. Es kam zum Schluss, dem Grossvater könne höchstens eine leichte Verletzung seiner Beaufsichtigungspflicht vorgeworfen werden. Er habe seine Beaufsichtigungspflicht jedoch nicht in einer Art und Weise missachtet, die so schwer wiege, dass das Verhalten der Gemeinde und des Werkeigentümers daneben nicht mehr als adäquate Mitursachen gelten könnten.
  • Das Gericht hielt ausserdem fest, dass im konkreten Fall die Staats- und die Werkeigentümerhaftung kumulativ zur Anwendung kommen würden. Die Forderungen aus Werkeigentümerhaftung waren Gegenstand aussergerichtlicher Vergleichsverhandlungen.


Folgerungen bfu daraus
Mit diesem Urteil hat das Bernische Verwaltungsgericht wichtige Aspekte für eine sog. Staatshaftung aus baupolizeilicher Aufsicht festgelegt. Das Urteil macht deutlich, dass die Gemeinde ihre baupolizeilichen Aufsichtspflichten insbesondere aus folgenden Gründen klar missachtet hat:

  • Die Absturzgefahr hätte der Gemeinde ins Auge springen müssen, da sie Grundeigentümerin der angrenzenden Parzelle ist und ihre Verwaltung unmittelbar vis-à-vis des Unfallorts liegt.
  • Die Gemeinde hätte aufgrund der örtlichen Situation mit dem Aufenthalt von Kindern auf dem Flachdach rechnen müssen.
  • Schützen muss man insbesondere vor solchen Gefahren, welche für die zu Schützenden nicht ohne weiteres erkennbar sind und sich als eigentliche Fallen erweisen.
  • Je hilfsbedürftiger und unselbständiger die zu schützenden Personen sind und je grösser das Risiko ist, desto intensivere Vorsichtsmassnahmen sind erforderlich.

Aus Sicht bfu empfiehlt es sich, diese Überlegungen des Bernischen Verwaltungsgerichts jeweils auch bei ähnlich gelagerten Situationen mit zu berücksichtigen.

Aus Präventionssicht wichtig ist auch die Feststellung im Urteil, wonach die Haftung des Gemeinwesens mit der Fertigstellung der Baute nicht endet. Je nach konkreter Ausgestaltung des anwendbaren kantonalen Baupolizeirechts kann die Gemeinde auch für den baurechtswidrigen Unterhalt der Bauten haften.

Der tragische Fall zeigt auch deutlich auf, wie wichtig die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht über Kleinkinder ist.

Schliesslich ist auch die Feststellung bemerkenswert, dass im konkreten Fall die Staats- und die Werkeigentümerhaftung als kumulativ anwendbar bezeichnet wurden.

(Quelle BVR 2011/5, S. 200 ff sowie BR 2011, S. 144)

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