Der Winterdienst auf öffentlichen Strassen, Wegen und Trottoirs gehört zu den Unterhaltspflichten des Gemeinwesens (Bund, Kantone, Gemeinden). Im kantonalen Recht existieren Detailvorschriften dazu. Ausserdem sind auch entsprechende Normen der Vereinigung Schweizerischer Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) und Empfehlungen des Bundesamts für Umwelt (BAFU) von Bedeutung.

Wer haftet bei einem Unfall?

Ereignet sich auf einer mit Schnee bzw. Glatteis bedeckten Strasse ein Unfall, kann die Frage der Haftpflicht des Strasseneigentümers aufgeworfen werden. Als gesetzliche Grundlage steht hierfür der Art. 58 Obligationenrecht (sog. Werkeigentümerhaftung) im Vordergrund. Danach haften Strasseneigentümerinnen und -eigentümer aber nur für denjenigen Schaden, den die Strasse infolge fehlerhafter Anlage, Herstellung oder mangelhaften Unterhalts verursacht.

Die Rechtsprechung hat der Pflicht der Strasseneigentümerinnen und -eigentümer zur Besorgung des Winterdienstes gewisse Schranken gesetzt. Im Folgenden finden Sie einige Urteile zum Thema. Der BFU-Rechtsdienst hat diese Urteile teilweise zusammengefasst und aus Präventionssicht analysiert. Sie können den Originaltext aller Urteile auch auf der Website des Bundesgerichts (bger.ch) nachlesen.

Selbstverantwortung der Strassenbenutzer

Es ist in erster Linie die Aufgabe der Strassenbenützerinnen und -benützer, ihre Fahrweise und ihr Verhalten den gegebenen Bedingungen anzupassen. Gerichtsurteile dazu:

Vorsichtspflicht Fahrzeuglenkerinnen und -lenker

  • BGE 98 II 40 (winterliche Strassenverhältnisse ausserorts - auf witterungsbedingte Strassenverhältnisse Rücksicht zu nehmen, ist in erster Linie Sache des Fahrers). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • BGE 102 II 343 (Auf Bergstrassen muss der Fahrer im Winter mit Fahrrinnen, die sich im harten Schnee bilden, rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • BGE 129 III 65 (Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist die Bildung von Eis aus nassen Strassen voraussehbar. Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker haben bei solchen Umständen ihre Geschwindigkeit zu reduzieren und wenn nötig im Schritttempo zu fahren). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

 Vorsichtspflicht Fussgängerinnen und Fussgänger

  • Urteil Bundesgericht vom 12.7.2010 / Prozess-Nr. 4A_244/2010(die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Fussgänger gehen weniger weit als beispielsweise an diejenigen von Autofahrerinnen).
  • Urteil Bundesgericht vom 23.3.2009 / Prozess-Nr. 4A_20/2009 (auch von Fussgängerinnen und Fussgängern werden einige Vorsichtsmassnahmen verlangt, wie die Wahl adäquater Winterbekleidung und -schuhe). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

Zumutbarkeit der Winterdienstmassnahmen

Von einem haftpflichtbegründenden Unterhaltsmangel kann nur dann gesprochen werden, wenn dessen Beseitigung dem Strasseneigentümer zumutbar gewesen ist. Ob eine Strasse effektiv mangelhaft unterhalten ist, muss letztlich immer ein Gericht anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilen.

Das Kriterium der Zumutbarkeit beinhaltet drei Elemente.

Technischer Standard

Punkto Winterdienst wird nicht mehr gefordert, als was sich als technischer Standard in der Praxis durchgesetzt hat. Massgebend sind hierfür die Vorgaben und Normen der Vereinigung Schweizerischer Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS).

Zeitliche Staffelung der Unterhaltsmassnahmen

Dem zeitlichen Aspekt kommt beim Strassenunterhalt oft wesentliche Bedeutung zu. Wegen der Grösse des zu betreuenden Strassennetzes ist eine zeitliche Staffelung der Unterhaltsmassnahmen unvermeidlich.

Eine allgemeine Pflicht des Gemeinwesens, überall dort feste, flüssige bzw. abstumpfende Mittel zu streuen, wo Strassen mit Schnee und Eis bedeckt sein könnten, besteht grundsätzlich nicht. Das Gemeinwesen kann sich primär auf die wichtigsten Strassen konzentrieren und die verfügbaren Ressourcen vor allem innerorts einsetzen.

Im Autobahnbereich gelten stets höhere Anforderungen. Die Prioritäten der Schneeräumung ergeben sich aus der Benützungsfrequenz der Strassen (Gefahrenpotenzial). Die einschlägigen Vorgaben und Normen der VSS legen im Detail fest, welche Verkehrswege bei der Bekämpfung winterlicher Gefahren vordringlich zu behandeln sind. Das sind in erster Linie Verkehrswege mit grosser Verkehrslast (z. B. Hauptstrassen) und/oder grosser Wichtigkeit (z. B. Einsatzrouten von Blaulichtorganisationen, Routen des öffentlichen Verkehrs).

Kosten des Winterdienstes

Im Rahmen der Beurteilung des Kriteriums Zumutbarkeit wird schliesslich auch den Kosten des Winterdienstes Beachtung geschenkt. Die durch den Winterdienst verursachten Kosten sollen in einem vertretbaren Verhältnis zum Schutzinteresse der Strassenbenützerinnen und Strassenbenützer sowie zum Zweck der Strassen stehen.

Rechtsprechung zur Zumutbarkeit von Winterdienstmassnahmen

Zumutbarkeit von Strassenunterhaltskosten

  • BGE 98 II 40: Ein generelles und laufendes Sanden aller Kantons- und Gemeindestrassen ist zu aufwendig. Je ausgedehnter das Strassennetz eines Gemeinwesens ist und je zahlreicher die Strecken sind, auf denen Winterglätte auftreten kann, desto mehr drängt es sich auf, die Streupflicht der Eigentümerin oder des Eigentümers auf besonders gefährliche Teile verkehrswichtiger Strassen zu beschränken. Dies muss insbesondere für Strecken ausserorts gelten. Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • BGE 102 II 343: Es würde die finanzielle Zumutbarkeit sprengen, von einem Kanton zu verlangen, alle Fahrrinnen, die sich im Winter im harten Schnee auf einer Bergstrasse bilden, zu beseitigen; insbesondere, wenn es um Stellen geht, die keine besondere Unfallgefahr für vorsichtige Fahrerinnen und Fahrer darstellen. Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.

Zumutbarkeit der Intervention

  • BGE 130 III 736: Strassen müssen wie alle anderen Werke so angelegt und unterhalten sein, dass sie den Benützerinnen und Benützern hinreichende Sicherheit bieten. Im Vergleich zu anderen Werken dürfen bezüglich Anlage und Unterhalt von Strassen aber nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden. Das Strassennetz kann nicht in gleichem Mass unterhalten werden wie zum Beispiel ein einzelnes Gebäude. Es kann von der Strasseneigentümerin, bei der es sich meistens um das Gemeinwesen handelt, nicht erwartet werden, jede Strasse so auszugestalten, dass sie den grösstmöglichen Grad an Verkehrssicherheit bietet. Es genügt, dass die Strasse bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt ohne Gefahr benützt werden kann. In erster Linie ist es deshalb Sache der einzelnen Verkehrsteilnehmenden, die Strasse mit Vorsicht zu benützen und ihr Verhalten den Strassenverhältnissen anzupassen. Dadurch wird das von den Strasseneigentümerinnen und -eigentümern zu vertretende Sorgfaltsmass herabgesetzt. Es muss in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob die Strasseneigentümerinnen und -eigentümer nach den zeitlichen, technischen und finanziellen Gegebenheiten in der Lage waren, ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Frage der Zumutbarkeit von Sicherheitsvorkehrungen wird zudem unterschiedlich beurteilt, je nachdem, ob es sich um eine Autobahn, eine verkehrsreiche Hauptstrasse oder einen Feldweg handelt. Bestehen verwaltungsrechtliche Vorschriften über Anlage und Unterhalt von Strassen, bedeutet deren Verletzung in der Regel einen Werkmangel im Sinne von Art. 58 OR. Umgekehrt kann die Befolgung solcher Vorschriften nur ein Indiz für die Einhaltung der erforderlichen Sorgfaltspflicht darstellen und schliesst einen Werkmangel nicht von vornherein aus. Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • BGE 129 III 65: Bei Glatteis ist der Verkehr auf allen wichtigen Strassen möglichst schnell wieder zu ermöglichen. Falls erforderlich muss für besonders gefährliche Strassen ein Fahrverbot erlassen werden. Ausser auf Autobahnen besteht ausserorts grundsätzlich keine Pflicht, die Fahrbahn mit Salz oder Sand zu bestreuen. Bei verkehrsreichen Strassen genügt es daher, wenn gefährliche Abschnitte innerhalb einer vernünftigen Zeit wieder befahrbar gemacht werden. Innerorts müssen vor allem im Interesse der Fussgängerinnen und Fussgänger Schnee und Eis beseitigt werden. Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • BGE 98 II 40: Strasseneigentümerinnen und -eigentümer sind nicht verpflichtet, die Schleudergefahr wegen zeitweise auftretender Winterglätte, die sie regelmässig bekämpfen lassen, auf dem Hauptstrassennetz besonders zu signalisieren. In engen oder tiefen Tälern sind schattige Strecken nichts Aussergewöhnliches. Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • BGE 89 II 331: Inwieweit das Gemeinwesen auf Gehsteigen innerorts Sand oder anderes Material auszustreuen hat, um Fussgängerinnen und Fussgänger vor dem Ausrutschen zu schützen, bestimmt das öffentliche Recht. Die Werkeigentümerhaftung gemäss Art. 58 OR verlangt nur dann mehr, wenn das öffentliche Recht den elementarsten, sich aufdrängenden Anforderungen nicht gerecht wird. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es ist auf folgende Fragen einzugehen: Wie rege ist der Fussverkehr an einer bestimmten Stelle? In welchem Mass kann Fussgängerinnen und Fussgängern zugemutet werden, den Gefahren des Ausrutschens durch eigene Vorkehrungen zu begegnen? Und wie weit sind ihnen solche Massnahmen überhaupt möglich? Andererseits ist zu bedenken, dass das Gemeinwesen keine Massnahmen umsetzen kann, die es finanziell nicht oder nur schwer tragen kann.
  • Urteil Bundesgericht vom 18.5.2005 / Prozess-Nr. 4C.45/2005: Lawinenniedergang auf eine Bergnebenstrasse, die zu einem Ferienort führt und nur mit Sonderbewilligung befahren werden darf: das Nichtanbringen eines Lawinenfrühwarnsystems stellt einen mangelhaften Strassenunterhalt dar. Da jedoch im konkreten Fall der Personenschaden auch bei Vorhandensein eines Lawinenfrühwarnsystems eingetreten wäre, lag höhere Gewalt vor und der Kanton war nicht haftbar. Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
  • Urteil Bundesgericht vom 17.3.2016 / Prozess-Nr. 4A_463/2015: Auf vereistem öffentlichen Parkplatz im Flachland frühmorgens beim Aussteigen aus dem Auto ausgerutscht: auf einem öffentlichen Parkplatz muss nicht rund um die Uhr eine absolute Rutschsicherheit gewährleistet werden. Im konkreten Fall wurde der Winterdienst als ausreichend beurteilt und deshalb ein Unterhaltsmangel im Sinne von Art. 58 OR verneint.

Fazit

Insbesondere die kantonalen Gesetzgeber, die Vereinigung Schweizerischer Strassen- und Verkehrsfachleute, das Bundesamt für Umwelt sowie die Bundesgerichtliche Rechtsprechung haben den Strasseneigentümerinnen und -eigentümern Vorgaben für den Winterdienst auf öffentlichen Strassen gemacht. Art und Umfang der verlangten Vorkehrungen für den Winterdienst richten sich gesamthaft betrachtet nach der Art und Bedeutung der Strasse, der Verkehrsdichte, den technischen Möglichkeiten, den örtlichen Verhältnissen sowie der wirtschaftlichen Verhältnismässigkeit und Zumutbarkeit. Die Rechtsprechung macht überdies deutlich, dass auch Fahrzeugführerinnen und Fussgänger nicht von der Einhaltung gewisser Vorsichtsregeln entbunden sind.

Weitere Informationen

Mehr zum Thema Autofahren im Winter finden Sie in unserem Ratgeber.

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