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Schlitteln, ein unterschätztes Vergnügen

Stellen Sie sich vor: Ein Bekannter erzählt, er sei noch nie Ski gefahren, wolle es jedoch ausprobieren. Was antworten Sie? Sie empfehlen ihm die richtige Ausrüstung und raten ihm, einen Kurs zu besuchen oder einen Skilehrer zu engagieren. Dass er ohne Vorbereitung, ohne Helm, Handschuhe oder sogar in Jeans einen Berg hinunterfährt, ist unvorstellbar. Das Unfallrisiko wäre schlicht zu hoch. «Wenn man Ski fahren geht oder langlaufen will, muss man sich im Vorfeld damit auseinandersetzen. Sonst geht es gar nicht», sagt Daniel Dommann, 57, Geschäftsführer der Sportbahnen Melchsee-Frutt. Anders ist das beim Schlitteln.

Jeder kann schlitteln – oder?

Stellen Sie sich vor: Ein Bekannter erzählt, er sei noch nie gerodelt, plane jedoch, am kommenden Wochenende einen Schlittelweg auszuprobieren. Das ist nicht nur vorstellbar, sondern gängige Praxis. Schlitteln wird nicht als Sport, sondern als Freizeitvergnügen wahrgenommen. Schlitteln kann jeder, oder?

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. In der Schweiz verletzen sich pro Jahr rund 6500 Personen bei Schlittelunfällen. Die Folgen eines Unfalls können Stauchungen, Prellungen oder Hirnerschütterungen sein. Etwa ein Fünftel der Verunfallten sind Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Laut Statistik endet ein Schlittelunfall pro Jahr tödlich, meist aufgrund einer Kollision.

Viele dieser Unfälle könnten vermieden werden, wenn die Fahrerinnen und Fahrer richtig vorbereitet auf den Schlittelweg gehen würden, ist Dommann überzeugt. «Viele, die zum Schlitteln in die Berge kommen, vergessen, dass sie sich im tiefen Winter in den Alpen bewegen. Sie haben weder Handschuhe noch Helm dabei. Manche tragen sogar nur Turnschuhe mit rutschigen Sohlen. Oder bauchfreie Tops. Da sieht man allerhand.»

Schlitteln mit der richtigen Ausrüstung

Es braucht Bergschuhe mit richtigen Profilsohlen, die Halt geben auf dem weissen Untergrund. Handschuhe und wetterfeste Kleidung, die Wärme spenden. Und einen Helm, auch wenn in der Schweiz dafür kein Obligatorium besteht. Denn jeder sechste Schneesportler erleidet bei einem Unfall eine Kopf- oder Halsverletzung. Ein Helm vermag rund einen Drittel dieser Verletzungen zu verhindern oder zumindest deren Schweregrad zu verringern.

«Mit einem Schlitten erreicht man Ge­schwin­dig­kei­ten von bis zu 50 km/h.»

Daniel Dommann, Ge­schäfts­füh­rer der Sportbahnen Melch­see-Frutt

Während beim Skifahren die Helmtragquote im vergangenen Jahrzehnt um das Fünffache auf über 90 % gestiegen ist, wird die Gefahr beim Schlitteln noch immer unterschätzt. Nur gut die Hälfte der Rodlerinnen und Rodler trägt einen Helm. Laut Dommann liegt die Dunkelziffer noch höher, da es zur Helmtragequote auf privaten Schlittelhängen keine Erhebungen gibt.

Ein anspruchsvoller Volkssport

Im Land der verschneiten Bergspitzen, wo fast jeder im Keller einen Davoser oder ein paar Bobs stehen hat, ist Schlitteln ein Volkssport. Die Herausforderungen, die diese Kufenflitzer an die eigene Geschicklichkeit und Kraft stellen, werden oft verkannt. «Einfach mal losfahren kann jeder, das stimmt. Man hat kein Problem, bis die erste Kurve kommt und man steuern oder bremsen sollte. Dann folgt das grosse Aha!» Man erreiche mit einem Schlitten gerne mal eine Geschwindigkeit von bis zu 50 Stundenkilometern, sagt Dommann. «Ist man erst so schnell unterwegs, kann man nicht mehr viel ausrichten, wenn man nicht genau weiss, wie ein Schlitten zu beherrschen ist.»

Nach einem schweren Unfall auf der Melchsee-Frutt hat Dommann mit seinem Team und in Zusammenarbeit mit der BFU vergangene Saison den ersten Lernparcours für Schlittelnde eingerichtet. Er liegt geschickt platziert am Anfang des Schlittelwegs, in unbewaldetem Gebiet ohne Steilhänge oder felsige Hindernisse. Wer den Weg fahren möchte, wird so geleitet, dass er zuerst auf dem Parcours eine Kurve üben und ein Bremsmanöver einleiten muss. Kurz: Die Fahrerinnen und Fahrer setzen sich automatisch mit ihrem Gerät auseinander, bevor es losgeht.

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