Grundsätzlich liegt die Erziehung im Verantwortungsbereich der Eltern, im Zentrum steht das Wohl des Kindes. Die rechtliche Obhut ist Element der elterlichen Sorge und sowohl unübertragbar als auch unverzichtbar. Hingegen übt diejenige Person, die sich um ein Kind kümmert und es während einer gewissen Zeit umsorgt, die faktische und somit tatsächliche Obhut aus – unabhängig davon, welche rechtliche Stellung sie gegenüber diesem Kind und dessen Eltern hat. Somit ist jede Person, die sich als Betreuungsperson direkt und während einer gewissen Dauer um ein Kind kümmert Trägerin der tatsächlichen Obhut.

Schülerinnen und Schüler sind während des Unterrichts und zum Teil darüber hinaus unter der Obhut der Schule. Die Obhutspflicht beginnt, wenn ein Kind das Schulareal erreicht (frühestens ca. 15 Min. vor dem Unterricht), und endet, wenn es das Areal nach dem Unterricht in angemessener Zeit wieder verlässt. Was angemessen ist, richtet sich nach den konkreten Verhältnissen. Ist ein besonderer Besammlungspunkt vereinbart, setzt die Obhutspflicht dort ein und dauert in der Regel, bis die Kinder am den Eltern mitgeteilten Ort oder beim Schulhaus entlassen werden.

Die Schule bzw. die jeweilige Lehrperson hat gegenüber dem einzelnen Kind eine Obhutspflicht, die sich aus dem gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag ableitet. Lehrpersonen nehmen daher eine sog. Garantenstellung ein und sind im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit dafür verantwortlich, dass die ihnen anvertrauten Kinder körperlich und psychisch unversehrt sind und bleiben. Sie haben Gefahren vorausschauend einzuschätzen, die anvertrauten Schülerinnen und Schüler zu beaufsichtigen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen. Gleichzeitig haben Lehrpersonen aber auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass ihre Schützlinge selbst keinen Schaden anrichten. Die Aufsichtspflicht stellt einen Teilaspekt der Sorgfaltspflicht von Lehrperson dar. Das Mass der Sorgfalt in der Beaufsichtigung lässt sich nicht allgemeingültig umschreiben; es richtet sich nach den Verhältnissen im Einzelfall und hängt von diversen Faktoren wie Alter, Entwicklungsstand, Charakter der Schülerinnen und Schüler ab.

Wenn sich bspw. ein Kind trotz aller Vorsichtsmassnahmen im Rahmen des Unterrichts verletzt, kann das für die verantwortliche Lehrperson rechtliche Konsequenzen haben. Diese können strafrechtlicher (Sanktion), zivilrechtlicher (Schadenersatz) und / oder disziplinarischer Art (z.B. Verweis) sein. Ob und wer letztlich rechtlich zur Verantwortung gezogen wird, hängt immer von den konkreten Umständen ab und kann nicht generell gesagt werden. Doch in der Regel kann einer Lehrperson, die die eigenen Standesregeln einhält, die die Weisungen der Vorgesetzten beachtet und die im Einzelfall erforderlichen zumutbaren Vorsichtsmassnahmen trifft, in einem Verfahren wenig vorgeworfen werden.

Strafrechtliche Verurteilungen von Lehrpersonen gibt es selten. In den meisten Kantonen haftet der öffentliche Schulträger primär und ausschliesslich für (finanziellen) Schaden, den seine Angestellten im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit widerrechtlich verursachen. Daher können Schadenersatzansprüche eines Schulkinds bzw. seiner Eltern nur gegen den Kanton oder die zuständige Schulgemeinde, nicht aber direkt gegen die betreffende Lehrperson geltend gemacht werden. Falls der Schulträger Schadenersatz leisten muss, steht ihm ein sog. Rückgriff auf die verantwortliche Lehrperson zu, wenn diese nachweislich ihre Sorgfaltspflicht vorsätzlich oder grobfahrlässig, d.h. unter Missachtung elementarster Vorsichtsgebote, verletzt hat.

Beispiel aus der Rechtsprechung: Sorgfaltspflicht eines Lehrers während einer Bergwanderung

Klassenlehrer X unternahm mit seinen Schülerinnen und Schülern eine Wanderung auf den hohen Kasten. Bei der Traversierung eines Schneefeldes stürzt Schüler Y ab und verletzt sich tödlich. Das Bundesgericht führte aus, dass insbesondere bei Kindern von vornherein nicht gesagt werden kann, die Sorgfaltspflicht sei erfüllt, wer eine Tour sorgfältig vorbereite und die Teilnehmer richtig instruiere. Vielmehr sind die Verhältnisse vor Ort fortlaufend zu beurteilen und die notwendigen Verhaltens- und Sicherheitsanweisungen zu erteilen. Weitere Informationen zum Entscheid finden Sie hier.

Fazit:

  • Lehrpersonen sind gegenüber Schülerinnen und Schülern obhutspflichtig und haben dafür zu sorgen, dass diese im Rahmen des Unterrichts unversehrt bleiben.
  • Eine Verletzung der Obhutspflicht kann straf-, zivilrechtliche und/oder disziplinarische Folgen haben.
  • Wenn Lehrpersonen ihre Obhutspflicht verantwortungsvoll wahrnehmen und sich an die Weisungen ihrer Vorgesetzten halten, können sie das Risiko eines Haftpflichtfalls oder einer strafrechtlichen Verurteilung in engen Grenzen halten.

Literatur:

  • Fuchs M. Die Haftung des Familienhaupts nach Art. 333 Abs. 1 ZGB im sozialen Kontext. Zürich, 2007.
  • Hofmann P. Recht handeln – Recht haben. Ein Wegweiser in Rechtsfragen für Lehrerinnen und Lehrer. Villmergen, 2010.
  • Plotke H. Schweizerisches Schulrecht. 2., vollständig überarbeitete und stark erweiterte Auflage. Bern, 2003.
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