Urteil vom: 6. Juni 2003
Prozessnummer: 6S.87/2003

Thema des Urteils
Auch Firmenparkplätze müssen absturzsicher sein. Entsprechende Sicherungspflichten können aus dem Gefahrensatz resultieren.

Sachverhalt
Auf dem Areal der X AG, einem Familienunternehmen, sind mehrere Parkfelder markiert. Diese dienen hauptsächlich den Besuchern der X AG und der E AG, die bei der X AG eingemietet ist. Zwei Parkfelder sind hintereinander entlang eines etwa 30 cm hohen und 20 cm breiten Mäuerchens angebracht. Jenseits dieses Mäuerchens befindet sich eine abschüssige Zufahrt zu einem unterirdischen Lagerraum.

Es war bereits dunkel, als C in Begleitung des damals 67-jährigen D auf das Areal fuhr und ihren Personenwagen auf einem dieser Parkfelder abstellte. Die beiden brachten einen Teppich zur E AG und kehrten danach zum Wagen zurück. D wollte auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, stürzte aber auf die im fraglichen Bereich zirka zwei Meter tiefer gelegene Zufahrt zum unterirdischen Lagerraum. Dabei verletzte er sich schwer. Wie und weshalb D hinuntergestürzt oder in welchem Abstand zum Mäuerchen der Wagen parkiert gewesen war, konnte nicht geklärt werden.

Prozessgeschichte
In der Folge wurde X, Geschäftsführer und Verwaltungsrat der X AG, von der kantonalen Justiz der fahrlässigen schweren Körperverletzung für schuldig befunden und mit einer Busse von Fr. 1'000..– bestraft. Der Schuldspruch wurde damit begründet, dass X es unterlassen hatte, ein sicherndes Geländer auf dem Mäuerchen anzubringen. X wehrte sich gegen den Entscheid und beantragte dessen Aufhebung vor Bundesgericht. Im Gegensatz zum kantonalen Obergericht sah das Bundesgericht das massgebende Verhalten nicht in einer Unterlassung, sondern in einer Handlung, nämlich der Bereitstellung und Beibehaltung von allenfalls ungenügend gesicherten Parkierungsmöglichkeiten. Wären im fraglichen Bereich gar keine Parkfelder markiert oder beispielsweise im rechten Winkel zum Mäuerchen eingezeichnet worden, hätte die Gefahr des Absturzes gar nicht bestanden, hielt das Bundesgericht fest. Es kam zum Schluss, die Verurteilung von X wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verstosse nicht gegen Bundesrecht und wies die Beschwerde ab.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts

  • X war aufgrund seiner herausragenden Stellung im Unternehmen nicht nur für dessen Leitung, sondern auch für die Sicherheit der Parkierungsmöglichkeiten verantwortlich, die auf dem Areal der X AG zur Verfügung gestellt werden. Durch die Markierung der Parkfelder in Längsrichtung entlang des Mäuerchens ohne Anbringen eines Geländers wurde die Gefahr geschaffen, dass Personen beim Ein- oder Aussteigen auf der dem Mäuerchen zugewandten Seite des Fahrzeugs auf die daran angrenzende Zufahrtsrampe zum unterirdischen Lagerraum hinunterstürzten, insbesondere bei Dunkelheit und nicht ausreichender Beleuchtung des Areals.

  • Die durch die Parkfelder geschaffene Gefahrenlage war nach Ansicht des Bundesgerichts ohne weiteres erkennbar. Zwar hatte sich in diesem Parkbereich in den letzten 30 Jahren weder ein Unfall ereignet noch hatten kantonale Versicherungsbeamte oder Experten der Gebäudehaftpflichtversicherung irgendwelche Beanstandungen vorgebracht. Trotzdem hätte X die Gefahr bei Anwendung der pflichtgemässen Sorgfalt bemerken müssen. Das Mass der zu beachtenden Sorgfalt bestimmt sich, wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, in erster Linie nach diesen Vorschriften. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit kann aber auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden. Danach muss derjenige, der einen Gefahrenzustand schafft, alles Zumutbare vorkehren, damit die Gefahr nicht in die Verletzung fremder Rechtsgüter umschlägt.
  • Der Sturz hätte ohne grossen Aufwand durch Anbringen eines Geländers verhindert werden können, führte das Bundesgericht aus. Wäre ein solches vorhanden gewesen, hätte sich der Unfall, wie auch immer er sich zugetragen habe, höchstwahrscheinlich nicht ereignet.

  • Folgerungen bfu daraus

  • Das Bundesgericht ruft mit dem Urteil in Erinnerung, dass sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in den Fällen, in welchen besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, in erster Linie danach bestimmt. Dies schliesst aber nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann. Danach muss derjenige, welcher einen Gefahrenzustand schafft, alles Zumutbare vorkehren, damit die Gefahr nicht in die Verletzung fremder Rechtsgüter umschlägt.
  • Die bfu erachtet dies als wichtigen Hinweis für die Nichtberufsunfallprävention, da damit klargemacht wird, dass gestützt auf den Gefahrensatz Sicherheitsmassnahmen, die z.B. aus Empfehlungen von Fachorganisationen wie der bfu resultieren, notwendig sein können. Dies ist eine umso wichtigere Feststellung, da seit dem 1.1.2007 der Gefahrensatz explizit im Strafgesetzbuch (Art. 11) verankert ist.

    Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

    Die Volltexte der Entscheide finden Sie auf der Website des Bundesgerichts:

    • Entscheide aus der amtlichen Sammlung finden Sie hier: Nach der Nummer des Entscheides suchen, die Sie bei unserer Zusammenfassung unter «Amtliche Sammlung» finden – z. B. 129 II 82.
    • Weitere Entscheide finden Sie hier: Nach der Prozessnummer suchen – z.B. 2A.249/2000.

    Die Volltextsuche kantonaler Entscheide finden Sie auf den kantonalen Websites.

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