Kinderunfälle sind nicht nur ein dramatisches Einzelschicksal, sondern auch eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Sie verursachen grosses Leid, zerstören Familien und führen zu materiellen Kosten in der Höhe von jährlich 800 Mio. Franken. In der Schweiz sterben jedes Jahr 23 Kinder unter 15 Jahren bei einem Unfall – knapp die Hälfte davon sind Kleinkinder unter 5 Jahren. Die häufigsten Unfallhergänge im häuslichen Umfeld: Ersticken, Ertrinken und Stürze aus der Höhe.
Warum sind Kleinkinder besonders gefährdet?
Zur gesunden Entwicklung des Kindes gehört das Erkunden der Umwelt dazu. Kinder sind neugierig und aktiv, verfügen jedoch noch nicht über die motorischen und kognitiven Fähigkeiten, um Unfallgefahren zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren – egal ob zu Hause, im Quartier, im Garten, beim Spielen oder bei einer anderen Aktivität. Die Ursachen für schwere Unfälle sind vielfältig und meistens auf eine Kombination mehrerer ungünstiger Faktoren zurückzuführen: herumliegende Kleinteile, die verschluckt werden können, ungesicherte Fenster und Gewässer, unsichere Produkte sowie fehlende Aufsicht und unzureichende Information der Eltern. Viele dieser Gefahren können stark reduziert oder sogar vermieden werden.
Sicherheitsanalyse zeigt Hebel auf für nachhaltige Prävention
Die neue Sicherheitsanalyse der BFU identifiziert die zentralen Einflussfaktoren für tödliche Unfälle bei Kleinkindern und leitet daraus Präventionsansätze ab. Im Fokus stehen dabei strukturelle, gesellschaftliche und individuelle Ansatzpunkte. Die Forscherinnen und Forscher der BFU haben dazu den internationalen Forschungsstand ausgewertet und die wichtigsten Einflussfaktoren anhand der Unfallzahlen ermittelt. Während viele individuelle Faktoren – etwa die Entwicklung des Kindes – nur bedingt beeinflussbar sind, besteht bei den Rahmenbedingungen mehr Handlungsspielraum. Besonders wirksam sind Massnahmen, die auf mehreren Ebenen ansetzen. So lassen sich z. B. Ertrinkungsunfälle verhindern, wenn Biotope, Teiche und Pools baulich gesichert, Eltern und Fachpersonen für die Gefahren des Ertrinkens sensibilisiert und Kleinkinder im und am Wasser ständig in Griffnähe beaufsichtigt werden.
Vision Zero: Kein Kind soll bei einem Unfall sterben
Mit ihrem neuen Mehrjahresprogramm 2026–2030 verfolgt die BFU die Vision Zero bei den tödlichen Kinderunfällen: Kein Kind soll durch einen Unfall ums Leben kommen. Dafür braucht es eine stärkere Verankerung der Kinderunfallprävention im Bereich der öffentlichen Gesundheit.
Mit der Sicherheitsanalyse der BFU steht eine evidenzbasierte Grundlage bereit, um die Prävention von schweren und tödlichen Unfällen bei Kleinkindern in der Schweiz gezielt zu stärken. Eine nationale Roadmap nach internationalem Vorbild wäre aus Sicht der BFU der nächste notwendige Schritt, um Massnahmen zu koordinieren, Prioritäten zu setzen und Ressourcen zu bündeln. Die BFU wird diese Idee gemeinsam mit Bund, Kantonen und den weiteren Akteuren der Kindersicherheit diskutieren und vorantreiben.
Service
KI in der Unfallforschung bei Kindern
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) eröffnet neue Wege zur Verbesserung der Datenbasis für die Prävention von Unfällen bei Kindern. Das von der BFU gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW und dem Universitäts-Kinderspital Zürich umgesetzte Projekt zeigt, dass elektronische Patientenakten – insbesondere die Unfallbeschreibungen in Anamnesetexten – bislang ungenutzte Informationen zum Unfallgeschehen bieten. Mittels Machine-Learning-Modellen lassen sich Angaben zu Unfallhergang, Ort, Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls und beteiligten Produkten aus diesen Texten gewinnen.
Das Projekt belegt das grosse Potenzial von KI als Werkzeug für ein differenziertes, nahezu Echtzeit-Monitoring von Kinderunfällen. In Kombination mit dem Fachwissen der BFU ermöglicht die KI, Lücken in den Statistiken durch präzise, klinikbasierte Daten zu schliessen. So entsteht ein vertieftes Verständnis des Unfallgeschehens – insbesondere bei schweren Unfällen – und somit ein wichtiger Beitrag zur Verwirklichung der Vision Zero bei tödlichen Kinderunfällen.