Urteil vom: 20. März 2018
Prozessnummer: 1C_117/2017 und 1C_118/2017

Sachverhalt
Im Zusammenhang mit der Strassenlärmsanierung erliess der Vorsteher des Polizeidepartements der Stadt Zürich am 22. August 2013 Verkehrsvorschriften für den Kreis 2 sowie für die Kreise 1, 3, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12. Im Kreis 2 wurden verschiedene bestehende Tempo-30-Zonen zusammengelegt und erweitert (Zonen Studacker/Kalchbühl, Entlisberg/Manegg, Bellaria/Bürgli und Ulmberg). In den Kreisen 1, 3, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12 wurde die Höchstgeschwindigkeit auf diversen kommunalen Strassen (abschnitten) auf 30 km/h herabgesetzt.

Prozessgeschichte
Dagegen erhoben der Touring Club der Schweiz, Sektion Zürich (nachfolgend: TCS), der Automobilclub der Schweiz, Sektion Zürich (nachfolgend: ACS), C., A. und B. Einsprache (die beiden zuletzt Genannten nur gegen die Verkehrsvorschriften Kreis 2). Der Stadtrat wies die Einsprachen am 19. November 2014 ab. Am 5. Januar 2015 erhoben die Einsprecher dagegen Rekurs beim Statthalteramt Bezirk Zürich. Dieses wies die Rekurse am 3. Mai 2016 ab. Dagegen gelangten die Rekurrenten am 10. Juni 2016 mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerden mit zwei Urteilen vom 21. Dezember 2016 ab. Gegen das Urteil VB.2016.00338 (betr. Kreis 2) erhoben der TCS, der ACS, A., B. und C. am 27. Februar 2017 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht (Verfahren 1C_117/2017). Gleichentags gelangten der TCS, der ACS und C. mit Beschwerde gegen das Urteil VB.2016.0039 (betr. Kreise 1, 3, 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 12) an das Bundesgericht (Verfahren 1C_118/2017). Das Bundesgericht hat diese Beschwerden abgewiesen.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Streitig sind neue bzw. erweiterte Tempo-30-Zonen im Kreis 2 sowie Beschränkungen der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h in anderen Kreisen der Stadt, die im Rahmen der Strassenlärmsanierung angeordnet wurden. Einschlägig sind dafür einerseits die Bestimmungen des Umweltrechts zur Sanierung ortsfester Anlagen und andererseits die Vorgaben des Strassenverkehrsrechts zur Herabsetzung der allgemeinen Regelgeschwindigkeit bzw. zu Tempo-30-Zonen. Wichtige Erwägungen:

  • Art. 32 Abs. 3 SVG und Art. 108 Abs. 4 SSV verlangen kein unabhängiges Sachverständigengutachten im Sinne von Art. 12 VwVG. Entscheidend ist vielmehr, dass es von Fachleuten erstellt wurde und den gesetzlichen Anforderungen genügt.
  • Handelt es sich - wie vorliegend - um Geschwindigkeitsreduktionen zur Lärmsanierung, müssen insbesondere die Konsequenzen der Temporeduktion aus Lärmsicht (akustische Wirkungen; Änderung der Störwirkung auf die Anwohner) im Gutachten beschrieben und alternative Massnahmen zur Lärmbekämpfung aufgezeigt werden (technische Machbarkeit, Kosten und Nutzen; vgl. Eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung EKLB, Tempo 30 als Lärmschutzmassnahmen, Grundlagenpapier zu Recht - Akustik - Wirkung, Bern 2015, Anh. A). Aufzuzeigen sind aber auch allfällige entgegenstehende Verkehrsinteressen (Verkehrssicherheit und -fluss, Ausweichverkehr, Konsequenzen für den öffentlichen Verkehr, etc.).
  • Vorliegend hielt das Verwaltungsgericht fest, die Gutachten seien vom zuständigen Projektleiter der Dienstabteilung Verkehr unter Einbezug von anderen Fachleuten der Stadtverwaltung (Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich, Tiefbauamt und VBZ) erarbeitet und per 31. Juli 2013 abgeschlossen worden. Sie basierten auf den konkreten örtlichen Lärmbelastungen mit den Immissionsgrenzwertüberschreitungen gemäss Lärmbelastungskataster, der Unfallstatistik, der richtplanerischen Einordnung und Klassierung der Strasse, dem Ausbaustandard der Strasse und den Auswertungen der vor Ort vorgenommenen Geschwindigkeitsmessungen und Fahrzeugfrequenzen unter Einbezug des öffentlichen Verkehrs. Sodann ergäben sich aus den Gutachten die raumplanungsrechtlichen Nutzungen in den von den Lärmeinwirkungen betroffenen Gebieten sowie welchen Lärmempfindlichkeitsstufen diese Grundstücke zugeteilt seien. Die notwendigen Verkehrsmessungen und die Analyse der Lärmsituation für die einzelnen Nutzungen lägen vor. Von einer pauschalen Anordnung von Tempo-30-Zonen bzw. -Strecken ohne Prüfung der konkreten Situation auf den einzelnen Streckenabschnitten könne demnach keine Rede sein. Die Gutachten enthielten alle für die Ermittlung des Sanierungsbedarfs notwendigen Informationen und seien schlüssig. Die Einholung von weiteren Gutachten sei daher nicht geboten. Mit diesen Erwägungen setzen sich die Beschwerdeführer nicht näher auseinander; insbesondere legen sie nicht dar, inwiefern die Gutachten - namentlich für die verkehrsorientierten Strassen - nicht ausreichten, um die Verhältnismässigkeit der Geschwindigkeitsreduktion zu beurteilen. Zusammenfassend hält das BAFU fest, dass neue Gutachten auf der Basis zusätzlicher Messungen die Notwendigkeit von Lärmsanierungsmassnahmen nicht in Frage zu stellen vermöchten. Es gibt für das Bundesgericht keinen Grund, von dieser Einschätzung der Bundesfachstelle für den Lärmschutz abzuweichen.
  • Schliesslich machen die Beschwerdeführer geltend, die neuen Geschwindigkeitsreduktionen und Tempo-30-Zonen würden zu vermehrten Lärmspitzen durch Notfalldienste führen, weil diese beim Befahren der neuen Tempo-30-Strecken schon ab 45 km/h statt bisher ab 65 km/h das Wechselklanghorn einschalten müssten. Das Argument des Verwaltungsgerichts, wonach der Einsatz des Wechselhorns von der Dringlichkeit der Fahrt und nicht von der Höchstgeschwindigkeit abhänge, sei unqualifiziert, weil bei gleicher Dringlichkeit der Einsatz des Horns zunehmen werde. Wie das BAFU in seiner Vernehmlassung ausführlich darlegt, gibt es jedoch keine gesetzliche Grundlage für die Behauptung der Beschwerdeführer, dass Rettungs- und Polizeifahrzeuge das Wechselklanghorn erst ab einer Geschwindigkeit von 15 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit einschalten müssten. Bei dringlichen Notfallfahrten darf unter Wahrung der gebotenen Sorgfalt von den Verkehrsregeln abgewichen werden (Art. 100 Abs. 4 SVG); Notfallfahrzeuge sind aber nur vortrittsberechtigt, wenn sie sich durch die besonderen Signale ankündigen (Art. 27 Abs. 2 SVG und Art. 16 Abs. 1 VRV); dabei müssen das Blaulicht und das Wechselklanghorn früh- und gleichzeitig eingeschaltet sein (Merkblatt des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation vom 6. Juni 2005 zur Verwendung von Blaulicht und Wechselklanghorn Ziff. 1 und 3). Das Wechselklanghorn dient in erster Linie der Inanspruchnahme des besonderen Vortrittsrechts und ist deshalb bei dringlichen Fahrten grundsätzlich einzuschalten, unabhängig von der Notwendigkeit einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit. Die Einschätzung der Vorinstanzen, wonach nicht mit einem massgeblich vermehrten Einsatz des Wechselklanghorns auf Tempo-30-Strecken zu rechnen sei, ist daher nicht zu beanstanden.

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