Urteil vom: 18. Juli 2017
Prozessnummer: 1C_121/2017

Sachverhalt
Die Stadt Solothurn setzte im Jahr 2013 eine Arbeitsgruppe zur Realisierung von Tempo 30 im Quartier Hubelmatt-Fegetz-Blumenstein ein. Daraufhin untersuchte das Planungsbüro Sigmaplan verschiedene Varianten: Die Variante A sah vor, zwei Tempo-30-Zonen ohne Einbezug der St. Niklausstrasse einzuführen; die Busvariante B beschränkte sich auf die Anordnung von Tempo 30 auf der St. Niklausstrasse bis zur Einmündung in den Herrenweg; und die Variante C beabsichtigte, eine flächendeckende Tempo-30-Zone unter Einbezug der St. Niklausstrasse zu errichten. Die Begleitgruppe befand, es könne keine der drei Varianten gänzlich überzeugen und empfahl letztlich die Realisierung der Busvariante B. Der Gemeinderat der Stadt Solothurn beschloss am 10. Dezember 2013 auf Antrag der Gemeinderatskommission (GRK), die Variante C umzusetzen, wobei die beiden Fussgängerstreifen auf der St. Niklausstrasse bei der Einmündung Fegetzstrasse und Obere Sternengasse beibehalten werden sollten. Im August 2014 reichte das Planungsbüro Sigmaplan ein Detailgutachten ein. Darin sprach sich die Begleitgruppe für die Einführung der flächendeckenden Tempo-30-Zone aus und gelangte namentlich zum Schluss, die vorgesehenen Massnahmen trügen zur Reduktion der gefahrenen Geschwindigkeiten bei. Am 4. September 2014 beschloss die Polizei der Stadt Solothurn die entsprechende Verkehrsmassnahme mit dem Titel "Zonensignalisation Tempo-30-Zone; Hubelmatt-Fegetz-Blumenstein" und publizierte sie im lokalen Anzeiger.

Prozessgeschichte
Dagegen erhoben unter anderem die Sektion Solothurn des Touring Clubs Schweiz (TCS) und weitere Mitbeteiligte Beschwerde beim Bau- und Justizdepartement des Kantons Solothurn (BJD), das ihre Beschwerde mit Verfügung vom 11. Mai 2016 teilweise guthiess. Es hob den Beschluss des Gemeinderats und der Stadtpolizei Solothurn insoweit auf, als damit die St. Niklausstrasse in die Tempo-30-Zone einbezogen und ein Rechtsvortritt bei der Einmündung in die Obere Sternengasse angeordnet wurde. Gegen diesen Entscheid erhob die Stadt Solothurn, vertreten durch die Leiterin des Rechtsdienstes, am 30. Mai 2016 vorsorglich Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn. Nachdem die GRK als zuständiges Organ am 23. Juni 2016 beschlossen hatte, Beschwerde zu erheben und die Leiterin des Rechts- und Personaldienstes zur Interessenwahrung zu ermächtigen, ergänzte diese am 8. Juli 2016 die vorsorglich erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragte insbesondere, die verkehrspolizeiliche Massnahme gemäss Auflage und Beschluss des Gemeinderats sei zu bestätigen. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 24. Januar 2017 gut, hob die Verfügung des BJD auf und genehmigte die Tempo-30-Zone Hubelmatt-Fegetz-Blumenstein (inkl. St. Niklausstrasse). Anwohner und die Sektion Solothurn des TCS gelangten daraufhin ans Bundesgericht. Diese Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts

  • Bei der Einführung von Tempo-30-Zonen handelt es sich um sog. funktionelle Verkehrsanordnungen im Sinne von Art. 3 Abs. 4 SVG . Tempo-30-Zonen kennzeichnen Strassen in Quartieren oder Siedlungsbereichen, auf denen besonders vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren werden muss (Art. 22a Satz 1 SSV). Sie sind grundsätzlich auf Nebenstrassen mit möglichst gleichartigem Charakter beschränkt (Art. 2a Abs. 5 SSV). Vorliegend umfasst die Tempo-30-Zone im Quartier Hubelmatt-Fegetz-Blumenstein sowohl Erschliessungs- als auch Sammelstrassen. Dabei handelt es sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer um siedlungsorientierte Strassen mit ähnlichen Merkmalen, die insofern mit einer Tempo-30-Zone belegt werden können.

  • Im Detailgutachten vom August 2014 werden als Ziele, die mit der Anordnung der Zone erreicht werden sollen, namentlich die Erhöhung der Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer und die Verbesserung der Koexistenz der verschiedenen Verkehrsgruppen genannt. Insoweit steht die Verkehrssicherheit im Vordergrund, was auch aus den weiteren Ausführungen im Gutachten hervorgeht: Mit der Einrichtung einer Tempo-30-Zone soll nicht nur ein Beitrag zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten, wie am Knoten Herrenweg/St. Niklausstrasse, geleistet werden, sondern auch die Verkehrssicherheit für schwächere Verkehrsteilnehmer, wie betagte Personen bzw. Schülerinnen und Schüler, verbessert werden. Letzteres entspricht der in der Variantenuntersuchung vom Juni 2013 genannten Schulwegsicherheit. Aus diesen Zielumschreibungen lässt sich ableiten, dass insbesondere der besondere Schutz bestimmter Strassenbenützer (Art. 108 Abs. 2 lit. b SSV) und - in geringerem Masse - das Vorliegen einer schweren oder nicht rechtzeitig erkennbaren Gefahr (Art. 108 Abs. 2 lit. a SSV) als Herabsetzungsgründe in Frage kommen.

  • Das Detailgutachten erblickt aufgrund der polizeilich registrierten Unfälle insbesondere beim Knoten Herrenweg/St. Niklausstrasse ein Sicherheitsdefizit, das mit der Anordnung von Tempo 30 und verschiedenen baulichen und verkehrstechnischen Massnahmen behoben werden soll. Dazu gehört insbesondere eine Verkleinerung der Strassenfläche für den motorisierten Verkehr, womit zur Reduktion der Fahrgeschwindigkeit beigetragen wird (vgl. Art. 3 lit. g der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen). Inwiefern diese Vorkehrungen nicht verhältnismässig sein sollen, legen die Beschwerdeführer weder rechtsgenüglich dar noch ist dies ersichtlich. Ebenso wenig leuchtet ein, weshalb die Auswertung von Unfallzahlen nicht geeignet sein soll, um Sicherheitsdefizite aufzuzeigen, können dadurch doch objektiv gefährliche Stellen im Verkehrsnetz eruiert werden.

  • Umstritten ist sodann, ob die Voraussetzungen für ein Abweichen von der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit im Sinne von Art. 108 Abs. 2 SSV gegeben sind. Für das Bundesgericht ist entscheidend, dass der Schulweg von vielen Schülern und Kindergartenkindern zumindest teilweise entlang und über die St. Niklausstrasse führt. Dies stellt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ein taugliches Kriterium dar, um den Einbezug der St. Niklausstrasse in die vorgesehene Tempo-30-Zone zu rechtfertigen. Insofern ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die Voraussetzung gemäss Art. 108 Abs. 2 lit. b SSV als erfüllt erachtete. Ob zusätzlich der Herabsetzungsgrund von Art. 108 Abs. 2 lit. d SSV (Lärmverminderung) gegeben ist, kann insoweit dahingestellt bleiben.
  • Schliesslich drangen die Beschwerdeführer auch mit dem Argument nicht durch, die vorgesehene Tempo-30-Zone sei unverhältnismässig.

    Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

    Die Volltexte der Entscheide finden Sie auf der Website des Bundesgerichts:

    • Entscheide aus der amtlichen Sammlung finden Sie hier: Nach der Nummer des Entscheides suchen, die Sie bei unserer Zusammenfassung unter «Amtliche Sammlung» finden – z. B. 129 II 82.
    • Weitere Entscheide finden Sie hier: Nach der Prozessnummer suchen – z.B. 2A.249/2000.

    Die Volltextsuche kantonaler Entscheide finden Sie auf den kantonalen Websites.

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