Urteil vom: 8. November 1999
Prozessnummer: 6P.160/1999

Der 15-jährige U ging zusammen mit einigen seiner Mitschüler zu einem vom Klassenlehrer angeordneten Besuch eines Strandbades. Da der Klassenlehrer zum vereinbarten Zeitpunkt nicht erschienen war, begab sich U mit den anderen Klassenkameraden ohne Aufsicht ins Strandbad, zog sich um und ging ins Wasser. Um ca. 13.50 Uhr beobachteten Mitschüler U, der Nichtschwimmer war, in der Ufernähe beim Tauchen. Etwa 10 – 20 Minuten später wurde er von seinen Mitschülern vermisst. Nach erfolgloser Suche verständigten diese den Bademeister A. Kurz darauf wurde U auf dem Seegrund liegend gefunden und konnte geborgen werden. Bis zum Eintreffen des Notfallarztes wurde er durch die Tochter des Bademeisters und weitere Personen betreut. Nachdem er von der REGA ins Spital eingeliefert worden war, verstarb er an den Unfallfolgen.

Die kantonalen Gerichtsbehörden sprachen den Bademeister A und dessen Tochter – Mitarbeiterin des Bademeisters und Inhaberin des SLRG-Brevets – vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Das gegen den Klassenlehrer von U geführte Strafverfahren wurde eingestellt. Die Eltern des Ertrunkenen akzeptierten den Freispruch nicht und gelangten ans Bundesgericht.

Das Bundesgericht bestätigte den Freispruch. Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Badebetrieb von Bademeister A von seinem Platz bei der Fahnenstange aus beobachtet worden. Die Tochter des Bademeisters hatte sich – entsprechend ihren Anstellungsbedingungen – im Innern des Kiosks befunden und sich um die Bedienung der Gäste gekümmert. Ihr könne daher keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden. Aber auch der Bademeister habe seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt. Es gehöre nicht zu den Aufgaben des Bademeisters eines öffentlichen Schwimmbades, jegliche Handlung der Benutzer zu überwachen. So müsse er sich nicht versichern, dass jeder Badende an der Wasseroberfläche verbleibe oder, wenn er untertauche, rechtzeitig wieder aufsteige. Das mit der üblichen oder scheinbar normalen Benützung des Wassers verbundene Risiko trage der Schwimmer selbst oder die für ihn zuständige Obhutsperson. Für den Bademeister A habe kein Anlass für eine erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich des konkreten Verhaltens von U bestanden. U habe sich im Nichtschwimmerbereich befunden und sich dort offenbar völlig unauffällig verhalten. Sein Untergehen sei von niemandem wahrgenommen worden. Es habe sich mithin um ein atypisches Ertrinken gehandelt. U sei – so das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin – ruhig und ohne Kampf gegen das Wasser untergegangen. Der Umstand allein, dass der Bademeister nicht bemerkt habe, dass ein Badegast ohne Voranzeichen plötzlich im Wasser untergegangen sei, lasse noch nicht auf das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung schliessen. Weder das vorangehende Verhalten des Opfers noch andere aussergewöhnliche Verhältnisse hätten Anlass für eine erhöhte Aufmerksamkeit gegeben.

Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6P.160/1999 vereinigt mit 6S.572/1999; Pra [Die Praxis des Bundesgerichts] 3/2000 Nr. 52)

Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

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