Urteil vom: 12. Januar 2004
Prozessnummer: 6S.369/2003

X fuhr mit einem Linienbus auf dem rechten Fahrstreifen von einer Haltestelle weg und auf einen Kreisverkehrsplatz (Kreisel) zu. Zur selben Zeit näherte sich auf dem linken Fahrstreifen Y mit seinem Sattelschlepper ebenfalls dem Kreisel. Er erreichte ihn „etwas vor dem Bus“, wobei der Anhänger des Sattelschleppers auf die rechts verlaufende Busspur ausschwenkte. Obwohl X sein Fahrzeug 12 Meter vor der Wartelinie zum Kreisel zum Stillstand abbremste, streifte der Sattelschlepper den fast stehenden Bus. Wegen dieses Vorfalls wurde der Buschauffeur X von der kantonalen Justiz letztinstanzlich wegen mangelnder Aufmerksamkeit im Strassenverkehr im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG (Strassenverkehrsgesetz) in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV (Verkehrsregelnverordnung) mit Fr. 100.- gebüsst. Ihm wurde vorgeworfen, aufgrund ungenügender Aufmerksamkeit das Fehlverhalten von Y nicht vorausgesehen und sein Fahrverhalten nicht nach der erkennbaren Gefahrenquelle ausgerichtet zu haben. Y wurde nicht einmal verzeigt. X wollte seine Verurteilung nicht hinnehmen und zog den Fall bis vor Bundesgericht weiter. Dieses hiess die Beschwerde aus folgenden Überlegungen gut:

Im vorliegenden Fall mündeten zwei parallele Fahrstreifen in einen Kreisel ein, dessen Fahrbahn in zwei Fahrstreifen unterteilt war und damit Platz für zwei Fahrzeuge nebeneinander bot. In solchen Fällen darf nach der Rechtsprechung der von der rechten Fahrbahn in den Kreisel einmündende Lenker darauf vertrauen, dass der Fahrzeugführer zu seiner Linken gemäss der Einspurung die innere Seite des Kreisels befahren und ihn somit nicht auf seiner Spur behindern wird. Daraus folgerte das Bundesgericht, dass beim Einmünden in den Kreisel weder X noch Y gegenüber dem anderen vortrittsberechtigt war. Sowohl vor als auch im Kreisel selbst durften die beiden ihre Fahrbahn nur verlassen, wenn sie dadurch den übrigen Verkehr nicht gefährdeten (Art. 44 Abs. 1 SVG).

Sofern konkrete Anzeichen für das Fehlverhalten von Y gefehlt hatten, durfte sich X grundsätzlich auf das Vertrauensprinzip berufen. Y sei dafür verantwortlich gewesen sicherzustellen, den Kreisel ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu befahren, hielt das Bundesgericht fest. Wenn es dem Lenker des Sattelschleppers nicht möglich gewesen sein sollte, vollständig in seinem Fahrstreifen zu bleiben, hätte er vor dem Kreisel anhalten und den weitgehend neben ihm fahrenden Bus vorbei lassen müssen. Mangelnde Aufmerksamkeit könne X vielleicht dann zur Last gelegt werden, wenn er noch hätte anhalten können, als der Anhänger in seine Fahrbahn ausschwenkte, oder wenn diese Verkehrsregelverletzung von Y nach der allgemeinen Lebenserfahrung sehr wahrscheinlich voraussehbar gewesen wäre, als X dem Sattelschlepper noch gefahrlos die Vorfahrt hätte lassen können. Die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz genügten dem Bundesgericht jedoch nicht, um zu beurteilen, ob X allenfalls zu spät oder falsch reagiert hatte. Es hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies es zur Neubeurteilung an sie zurück.

(Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6S.369/2003)

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