Urteil vom: 13. Juli 2006
Prozessnummer: 2A.38/2006

Sachverhalt
Der Stadtrat von X hatte im Jahr 2004 für zwei Quartiere je die Einführung einer Tempo-30-Zone beschlossen.

Prozessgeschichte
Das kantonale Verwaltungsgericht gab später vier Anwohnern recht und hob den Stadtratsbeschluss, der das eine Quartier betraf, auf. Die dagegen von der Stadt X erhobene Beschwerde wurde vom Bundesgericht abgewiesen. Streitig war in diesem Fall, gestützt auf welche gesetzlichen Bestimmungen Tempo-30-Zonen von den Gemeinden und Kantonen angeordnet werden können.

Das Bundesgericht stellte diesbezüglich Folgendes fest:
Gemäss Art. 108 Abs. 5 SSV (Signalisationsverordnung) sind innerorts unter anderem Tempo-30-Zonen zulässig. Diese kennzeichnen nach Art. 22a SSV Strassen in Quartieren oder Siedlungsbereichen, auf denen besonders vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren werden muss. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 30 km/h. Die Gründe, die eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit erforderlich machen können, beschreibt Art. 108 Abs. 2 SSV abschliessend wie folgt: Eine Gefahr ist nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben (lit. a); bestimmte Strassenbenützer bedürfen eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes (lit. b); es kann auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden (lit. c); es kann eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren (lit. d). Die Anordnung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten nach Art 108 Abs. 4 SSV ist nur gestützt auf ein vorgängig zu erstellendes Gutachten (vgl. dazu Art. 32 Abs. 3 SVG [Strassenverkehrsgesetz]) zulässig, das belegt, dass diese Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig ist und keine anderen Massnahmen vorzuziehen sind.

Die Stadt X hatte die entsprechende Verkehrsbeschränkung gar nicht auf Art. 108 SSV, sondern auf Art. 3 Abs. 4 SVG abgestützt. Gemäss dieser Bestimmung dürfen die zuständigen kantonalen Behörden sogenannte funktionelle Verkehrsbeschränkungen in Wohnquartieren unter weniger strengen Voraussetzungen verfügen. Das Bundesgericht hielt klar fest, dass Kantonen und Gemeinden kein Raum mehr bleibt, tiefere Geschwindigkeitslimiten unmittelbar gestützt auf Art. 3 Abs. 4 SVG anzuordnen. Gemäss Art. 32 SVG habe der Bundesrat die umfassende Kompetenz zur Regelung der Geschwindigkeitsbeschränkungen. Dieser Kompetenz sei er mit der Festsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten (Art. 4a Abs. 1 VRV [Verkehrsregelnverordnung]) sowie mit der detaillierten und abschliessenden Regelung von Art. 108 SSV über die abweichenden Höchstgeschwindigkeiten nachgekommen.

Bezüglich des fraglichen Quartiers war vor Bundesgericht unbestritten, dass die Gründe, die nach Art. 108 SSV eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit erforderlich machen können, nicht erfüllt sind. Das betroffene Wohnquartier weist keinen Durchgangsverkehr und mit täglich durchschnittlich 340 Fahrzeugen nur eine geringe Verkehrsdichte auf, so dass weder eine Gefährdungssituation noch eine übermässige Umweltbelastung besteht. Ein Gutachten hatte zudem ergeben, dass es im Quartier in den letzten fünf Jahren nur zwei Verkehrsunfälle gab. Auch die Wohn- und Lebensqualität konnte schon vor Einführung der Tempo-30-Zone als sehr gut eingestuft werden. Aus diesen Gründen bestätigte das Bundesgericht den Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts.

Fazit
Tempo-30-Zonen können nur gestützt auf Art. 32 SVG in Verbindung mit Art. 108 SSV angeordnet werden. Die Gründe, die eine Tempo-30-Zone rechtfertigen, sind hier abschliessend umschrieben. Zudem kann die Behörde nur aufgrund eines vorgängig erstellten Gutachtens über die Anordnung einer Tempo-30-Zone befinden.

Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

Die Volltexte der Entscheide finden Sie auf der Website des Bundesgerichts:

  • Entscheide aus der amtlichen Sammlung finden Sie hier: Nach der Nummer des Entscheides suchen, die Sie bei unserer Zusammenfassung unter «Amtliche Sammlung» finden – z. B. 129 II 82.
  • Weitere Entscheide finden Sie hier: Nach der Prozessnummer suchen – z.B. 2A.249/2000.

Die Volltextsuche kantonaler Entscheide finden Sie auf den kantonalen Websites.

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