Urteil vom: 25. September 2020
Prozessnummer: 6B_1452/2019

Der Autolenker hatte 2017 zum Überholen eines Motorrades und eines Autos mit Wohnanhänger angesetzt. Kurz bevor er die Höhe des Motorradlenkers erreicht hatte, setzte dieser ebenfalls zum Überholen an, worauf es zu einer seitlichen Kollision kam. Der Motorradfahrer und seine Mitfahrerin wurden verletzt. Der Autolenker setzte seine Fahrt fort, ohne für Hilfe zu sorgen oder die Polizei zu benachrichtigen. Das Kantonsgericht Graubünden sprach ihn 2019 der fahrlässigen Führerflucht schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe. Der Betroffene gelangte ans Bundesgericht und machte geltend, dass der Tatbestand der Führerflucht nicht fahrlässig begangen werden könne.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Bei einem Unfall haben alle Beteiligten für Hilfe zu sorgen und hat insbesondere der Fahrzeugführer die Polizei zu benachrichtigen (Artikel 51 Absatz 2 des Strassenverkehrsgesetzes, SVG). Führerflucht begeht, wer als Fahrzeuglenker bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet oder verletzt hat und die Flucht ergreift (Artikel 92 Absatz 2 SVG). Gemäss SVG sind alle gemäss diesem Gesetz verbotenen Handlungen auch bei fahrlässiger Begehung strafbar, sofern das SVG selber nicht etwas anderes bestimmt. Das Bundesgericht hat bereits in einem Entscheid von 1967 festgehalten, dass Führerflucht auch fahrlässig begangen werden kann. Betreffend Sinn und Zweck des Tatbestandes der Führerflucht wies es darauf hin, dass die Bestimmung Opfer eines Verkehrsunfalls vor gesundheitlicher und wirtschaftlicher Gefährdung bewahren und die Aufklärung der Unfallursachen ermöglichen will. Dieser Zweck könne nicht erreicht werden, wenn Führerflucht nur bei vorsätzlichem Handeln geahndet werde.

Der Betroffene bringt vor, den Unfall nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Die Vorinstanz hat zunächst zu Recht bejaht, dass der Zusammenstoss aufgrund der Intensität und der Position der Fahrzeuge wahrnehmbar war. Fahrzeugführer müssen ihre Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden. Wer nicht bemerkt, dass er möglicherweise einen Fussgänger oder ein anderes Fahrzeug angefahren hat und weiterfährt, handelt in der Regel fahrlässig. Bei einer auf das Verkehrsgeschehen gerichteten Aufmerksamkeit ist eine Kollision grundsätzlich erkennbar. Ein Fahrzeugführer, der aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit den Verkehrsunfall oder einen Personenschaden nicht bemerkt, macht sich der fahrlässigen Führerflucht schuldig.

Urteil des Bundesgerichts 6B_1452/2019 vom 25. September 2020 (zur Publikation vorgesehen).

Quelle: Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 22. Oktober 2020

Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

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