Urteil vom: 11. Februar 2005
Prozessnummer: 6P.138/2004 vereinigt mit 6S.377/2004
Amtliche Sammlung: 131 IV 133

X fuhr auf dem Überholstreifen einer richtungsgetrennten Autostrasse hinter dem Personenwagen von B, der im Begriff war, zwei Fahrzeuge zu überholen. Die Fahrbahn war trocken und die Sicht gut. Unmittelbar vor B befanden sich auf der Überholspur keine Fahrzeuge. X folgte B über eine Strecke von mindestens 800 Metern in einem Abstand von ca. 10 Metern. Zudem überschritt er dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 26 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge).

Nachdem X in erster Instanz lediglich wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 300.- verurteilt worden war, intervenierte die Staatsanwaltschaft beim Obergericht. Dieses sprach X der groben Verkehrsregelverletzung durch ungenügenden Abstand zum vorangehenden Fahrzeug sowie der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln durch Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schuldig und büsste ihn mit Fr. 500.-. X akzeptierte die Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung nicht. Doch das Bundesgericht wies die Beschwerde von X ab und bestätigte den Schuldspruch der Vorinstanz.

Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft (Art. 90 Ziff. 2 SVG [Strassenverkehrsgesetz]). Nach Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber sämtlichen Strassenbenützern ein ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie beim Neben- und Hintereinanderfahren. Gemäss Art. 12 Abs. 1 VRV (Verkehrsregelnverordnung) muss beim Hintereinanderfahren ein ausreichender Abstand eingehalten werden, so dass auch bei überraschendem oder gar brüskem Bremsen des voranfahrenden Fahrzeugs ein rechtzeitiges Halten möglich ist. Was unter einem „ausreichenden Abstand“ zu verstehen ist, hängt von den gesamten Umständen ab. Dazu gehören unter anderem die Sicht-, Verkehrs- und Strassenverhältnisse sowie die Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge. Allgemeine Grundsätze, bei welchem Abstand in jedem Fall, d. h. auch bei günstigen Verhältnissen, eine einfache oder allenfalls eine grobe Verkehrsregelverletzung vorliegt, habe die Rechsprechung noch nicht entwickelt, stellte das Bundesgericht fest. Es setzte sich eingehend mit verschiedenen Lehrmeinungen auseinander, zog zum Vergleich auch die Praxis einiger Nachbarländer bei und kam in Bezug auf den konkreten Fall zu folgendem Schluss: Der Abstand von X zum Vordermann betrug über die gesamte Wegstrecke von 800 Metern ca. 10 Meter. X behauptete, mit 110 km/h gefahren zu sein. Bei dieser Geschwindigkeit hätte der zeitliche Abstand ca. 0.33 Sekunden betragen. Ein derart geringer Abstand bei einer Geschwindigkeit von über 100 km/h auf dem Überholstreifen einer Autobahn bzw. Autostrasse begründet gemäss Bundesgericht jedenfalls eine erhöhte abstrakte Gefahr. Dies gelte unabhängig davon, wie gross im Einzelfall das Risiko sei, dass etwa ein Fahrzeug auf dem rechten Fahrstreifen aus irgendeinem Grund auf den linken Fahrstreifen gelangen könne.

Das Bundesgericht stufte die Fahrweise von X als rücksichtslos ein: Er habe offenkundig beabsichtigt, B zur Beschleunigung der Fahrt oder aber zum Wechsel auf den rechten Fahrstreifen zu drängen. Dies wäre jedoch in Anbetracht der auf diesem Streifen verkehrenden langsameren Fahrzeuge nicht ohne Risiko möglich gewesen. X habe den Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung somit in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt.

(Urteil vom 11.2.2005; Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6P.138/2004 vereinigt mit 6S.377/2004)

Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

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