Urteil vom: 16. Juni 2008
Prozessnummer: U 504/2007

Am Abend des 16.11.2002 um 22.40 Uhr wurde W, auf einer Hauptstrasse liegend, von einem Personenwagen erfasst und einige Meter weit mitgeschleift. Dabei zog sie sich verschiedene schwere Verletzungen zu, die eine längere Hospitalisation und mehrere operative Eingriffe nötig machten. Der Unfallversicherer lehnte – unter anderem gestützt auf ein Gutachten – die Erbringung von Leistungen ab, da W sich in suizidaler Absicht auf die Fahrbahn gelegt habe, ohne dass ihre Fähigkeit zu vernunftgemässen Handeln im damaligen Zeitpunkt gänzlich aufgehoben gewesen sei. Nachdem die letzte kantonale Instanz entschieden hatte, es liege weder eine beabsichtigte Selbstschädigung noch ein Suizidversuch vor und auch die Frage, ob W den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt habe, lasse sich aufgrund der Akten nicht abschliessend beurteilen, gelangte der Unfallversicherer ans Bundesgericht. Dort verlangte er, man müsse von einer absichtlichen Selbstschädigung ausgehen. Überdies liege ein schwerer Fall eines Wagnisses vor. Wenn das Vorliegen eines einfachen Vorsatzes respektive Eventualvorsatzes verneint werde, müsse das Verhalten von W zumindest als grobfahrlässig eingestuft werden.

Das Bundesgericht wies diese Beschwerde aus folgenden Gründen ab. W hatte sich vor dem 16.11.2002 bereits drei Mal an derselben bzw. einer ähnlichen Stelle gezielt auf die Strasse gelegt, um Aufmerksamkeit und Zuwendung seitens von Drittpersonen zu erlangen. Gestützt auf eingeholte Gutachten ging das Gericht davon aus, W leide an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus, welche zu derartigen Verhaltensweisen prädisponiere. Auf der Grundlage der Feststellungen des Gutachters schloss das Bundesgericht wie die Vorinstanz einen direkten Vorsatz aus. Das Handeln von W könne ausserdem auch nicht als eventualvorsätzlich, sondern höchstens als grobfahrlässig bezeichnet werden. W habe sich zwar bewusst in Gefahr begeben, es jedoch nicht in Kauf genommen, angefahren zu werden; auch habe sie sich nicht mit dieser Möglichkeit abgefunden. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, diese Folge werde nicht eintreten. Da Eventualvorsatz zu verneinen sei, erübrige sich eine nähere Prüfung der Frage, ob ein solcher als absichtliche Herbeiführung des Gesundheitsschadens im Sinne von Art. 37 Abs. 1 UVG (Bundesgesetz über die Unfallversicherung) zu betrachten wäre. Nach Art. 37 Abs. 1 UVG besteht kein Anspruch auf Versicherungsleistungen, mit Ausnahme der Bestattungskosten, wenn der Versicherte den Gesundheitsschaden oder den Tod absichtlich herbeigeführt hat.

Das Bundesgericht kam zum Schluss, die Leistungen des Unfallversicherers für das Ereignis vom 16.11.2002 müssten gleichwohl gekürzt werden, weil die Verletzungen von W auf ein absolutes Wagnis zurückgingen (Art. 39 UVG in Verbindung mit Art. 50 UVV [Verordnung über die Unfallversicherung]. Indem sich W im November um 22.40 Uhr bei schlechtem Wetter in dunkler Kleidung ausserorts auf eine Hauptstrasse gelegt habe, habe sie sich einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, welche sich in der Folge auch verwirklicht habe. Ein schützenswerter Grund für dieses Verhalten sei nicht ersichtlich. Überdies sei es unter den gegebenen Umständen auch nicht möglich gewesen, die Gefahr auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren. Die Voraussetzungen für eine Leistungskürzung wegen eines Wagnisses seien erfüllt, zumal auch ein Gutachter zum klaren Ergebnis gelangt sei, die Urteilsfähigkeit von W sei im Zeitpunkt des Ereignisses nicht vollständig aufgehoben gewesen. Aufgrund der Aktenlage zur damaligen psychischen Verfassung von W befand das Bundesgericht, eine Leistungskürzung um mehr als 50% würde kaum in Frage kommen. Das Bundesgericht wies deshalb die Sache – im Ergebnis dem vorinstanzlichen Entscheid entsprechend – an den Unfallversicherer zurück. Bezüglich Umfang der Leistungsreduktion stehe diesem ein gewisser Ermessensspielraum zu.

(Prozess-Nr. des Bundegerichts 8C_504/2007)

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