Rutschige Fussböden, niedrige Geländer, steile Treppen, abfallende Grundstücke – in der Schweiz ereignen sich die meisten Unfälle im und ums Haus. Jährlich 550 000 Menschen verletzen sich hierzulande laut Statistik im Haushalt oder in der Freizeit. 1700 Menschen sterben an den Folgen dieser Unfälle. Das sind «nur» 0,3 Prozent. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der 1200 Schutzengel, die für die BFU landesweit im Einsatz sind.
Die Sicherheitsdelegierten sind meist von den Gemeinden und Städten angestellt und verhelfen mit jährlich über 10 000 Beratungen zu sichereren Gärten, Häusern, Spielplätzen oder öffentlichen Anlagen. Sie machen also jeden Tag das alltägliche Umfeld von Herrn und Frau Schweizer sowie deren Nachwuchs so risikoarm wie möglich.
Das Kleingedruckte im Arbeitsvertrag
Andrea Hofbauer, 45, ist einer dieser Schutzengel. Präventiv hat die stellvertretende Bauverwalterin und Leiterin Hochbau der Gemeinde Würenlos AG wohl schon manches Unglück verhindert. Oder sogar Leben gerettet. «Als Heldin sehe ich mich deswegen nicht», sagt sie. Sie nehme diese Aufgabe ganz selbstverständlich wahr. «Sie steht schliesslich im Arbeitsvertrag», meint sie lachend. Seit sechs Jahren sorgt Hofbauer dafür, dass die Normen und Weisungen für sicheres Bauen eingehalten werden. Sie wird nicht zu jedem Fall gerufen. Um Spielplätze etwa kümmert sich ein speziell auf Kindersicherheit ausgebildeter Mitarbeiter, aber bei Bauabnahmen ist sie stets vor Ort.
Bei einem Einfamilienhaus am Dorfrand von Würenlos war dies kürzlich der Fall. Die Besitzer liessen ihren Garten neu terrassieren. Eine Steinmauer grenzt das grüne Plateau von der Seitenstrasse ab, an der das Wohnhaus liegt. Hofbauer hält einen Doppelmeter in der Hand. «Schauen Sie, die Mauer ist knapp höher als 1 m, deswegen musste ich die Besitzer auffordern, den Zugang zum Absatz mit Büschen zu sichern.» Wenn die Fallhöhe mehr als 1,5 m beträgt, muss sogar eine Absturzsicherung, zum Beispiel in Form eines Geländers oder einer Mauer, angebracht werden. So steht es in der SIA-Norm 358, der Richtlinie der BFU-Schutzengel.
Die Aufgabe macht Andrea Hofbauer Spass. Auch wenn es oft darum geht, einen Kompromiss zu finden. Was sicherer ist, sei eben nicht immer auch schöner, sagt sie. «Man schaue sich gewisse berühmte Bauten an mit wunderschönen horizontalen Geländern. Das dürfte ich so gar nicht bewilligen. Ich müsste Staketen fordern, was der Ästhetik natürlich einen Abbruch täte.»
Ästhetik und Sicherheit
Der studierten Architektin kommt in diesem regelkonformen Umfeld ihr kreativ-gestalterischer Hintergrund zugute. «Es hilft, mit den Bauherren, die natürlich eine gewisse visuelle Vorstellung haben, nicht aneinanderzugeraten, sondern konstruktive Lösungen zu finden.» Oft kann Andrea Hofbauer schon während des Baus eines Gebäudes Einfluss nehmen, sodass spätere Korrekturen nicht nötig werden. Die Tücken sind ihr mittlerweile geläufig: «Bei einer Geländermessung vor der Verlegung des Bodens muss man natürlich die Bodenstruktur mitberücksichtigen, sonst folgt dann die böse Überraschung. »
Ihr Ziel sei es stets, sowohl der gewünschten Ästhetik als auch den Sicherheitsvorschriften gerecht zu werden. Nicht immer könne sie jedoch dem Design den nötigen Platz einräumen, denn die Prioritäten seien klar gesetzt. «Sicherheit hat Vorrang!», sagt die BFU-Delegierte. Selbst dann, wenn die Regeln vor dem gesunden Menschenverstand kommen. «Etwa wenn Hausbesitzer wegen 2 cm ein Geländer aufstocken müssen, auch wenn keine Kinder im Haus leben und das Unfallrisiko dadurch abschätzbar wirkt – ausschliessbar ist es eben nicht.» Es reiche, wenn ein einziges Mal etwas passiere, dann stehe die Haftungsfrage im Raum: Wer ist schuld, wer bezahlt? Es gehe also auch um finanzielle Sicherheiten. Ihr Engagement zahle sich aus, ist Hofbauer überzeugt. Nicht zuletzt durch das befriedigende Gefühl, dass Schweizerinnen und Schweizer ihren Alltag noch unbeschwerter leben können.